Seit den letzten Wochen und Monaten durchlebt die AfD innerparteiliche Auseinandersetzungen, die die politische Existenz der Partei nachhaltig gefährden könnten. Der Ausschluss vom ehemaligen AfD-Mitglied Andreas Kalbitz aus der Partei führte zu einer Frontenverhärtung zwischen dem moderaten Teil und dem rechten Flügel der AfD. Im innerparteilichen Konflikt ist der Ausschluss von Kalbitz dabei nur die Spitze des Eisbergs.
Kalbitz‘ Aktivität in rechtsextremen Kreisen
Am 15. Mai wurde vom AfD-Bundesvorstand beschlossen, die Parteimitgliedschaft des damaligen AfD-Fraktionsvorsitzenden im Brandenburger Landtag zu entziehen. Das Gremium, das über den Ausschluss von Kalbitz entschied, bestand aus 13 Mitgliedern. Dabei hatten sieben Mitglieder für und fünf Mitglieder gegen den Ausschluss gestimmt. Ein Gremiumsmitglied hatte sich enthalten.
Grund für diesen Beschluss war die zeitweilige Mitgliedschaft von Kalbitz in der rechtsextremistischen Organisation „Junge Landsmannschaft Ostdeutschland“ (JLO) und den Republikanern. Die Republikaner wurden vom Verfassungsschutz beobachtet und stehen auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD. Die Unvereinbarkeitsliste ist eine von der Partei selbsterstellte schwarze Liste, in der unterschiedliche Organisationen, Vereinigungen und Parteien aufgeführt werden, die als mit den politischen Werten der AfD nicht vereinbar betrachtet werden. Im Fall einer Mitgliedschaft in einen dieser Vereinigungen darf man nicht in die Partei eintreten. Für die JLO hatte Kalbitz in Vergangenheit mehrere Beiträge verfasst, die nationalsozialistisches Gedankengut beinhalten. Er gab aber beim Parteieintritt nicht an, dass er bei diesen beiden Organisationen mitgewirkt hatte.
Auch wurde die Teilnahme von Kalbitz an den Veranstaltungen der verbotenen rechtsextremistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) als weiterer Grund für seinen Ausschluss aufgeführt. Laut Medienberichten verfügt der Verfassungsschutz über Dokumente, die nicht nur die Teilnahme von Kalbitz an den Veranstaltungen, sondern gar die Mitgliedschaft in der HDJ belegen. Kalbitz hatte mit einer eidesstattlichen Erklärung die Mitgliedschaft bestritten. Denn auch die HDJ ist auf der Unvereinbarkeitsliste der AfD aufgeführt.
Unterstützung für Kalbitz aus dem rechten Flügel
Der Kalbitz-Fall sollte noch weitaus gravierende Folgen für die AfD auslösen. Während der Parteivorsitzende Jörg Meuthen, der sich als „rechtskonservativ-freiheitlich“ bezeichnet und sich von Rechtsextremisten abgrenzen möchte, entschieden für den Ausschluss von Kalbitz warb, wurde dieser auf der anderen Seite unter anderem vom Partei-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland, der Co-Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Alice Weidel und der Spitze des rechten AfD-Flügels, Björn Höcke, verteidigt.
Das lässt sich wie folgt erklären: Kalbitz galt als Zögling von Gauland und deshalb auch als Anwärter für die Parteiführung. Des Weiteren gehörte Kalbitz mit Höcke zur Führungskraft des rechten Flügels, weshalb sich auch Höcke klar gegen Meuthen positionierte. Weidel wiederum führt seit längerem ein Machtkampf mit Meuthen um die Spitzenkandidatur in der AfD und versuchte ihre innerparteiliche Stellung durch eine klare Positionierung im Kalbitz-Fall zu stärken.
Meuthens Widersprüche
Die Position von Meuthen wirkt jedoch sehr unglaubwürdig. Obwohl er von Anfang an immer behauptet hat, dass er sich vom rechtsextremistischen Teil der Partei distanziere, hat er Entscheidungen und Aussagen getroffen, die dieser Position widersprechen. War er doch derjenige, der Kalbitz noch vor einem Jahr hochlobte und ihn als wichtiges Parteimitglied angepriesen hatte – obwohl schon damals Kalbitz‘ rechtsextremistische Position bekannt war.
Des Weiteren war Höcke von Meuthen als „politischer Freund“bezeichnet worden. Beide hatten am sogenannten „Kyffhäuser-Treffen“ des radikalen „Flügel“-Umfelds teilgenommen. Auf der anderen Seite hat Meuthen jedoch die politische Position des rechten Flügels als menschenverachtend verurteilt. Die widersprüchlichen Aussagen und Handlungen von Meuthen führen dazu, dass er von beiden Lagern der Partei harte Kritik zu spüren bekommt. In innerparteilichen Kreisen wird gemunkelt, dass er viele Aussagen des rechten Flügels toleriere, sofern sie zu seinem Vorteil sind.
Laut dem Experten für Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, Professor Hajo Funke, führt Meuthen einen taktischen Machtkampf gegen den rechten Flügel. Hajo behauptet, dass Meuthen die Partei nicht abspalten, sondern in der Mitte spalten möchte. Ohne die Unterstützung des rechten Flügels habe Meuthen keine Chance, seine Führung innerhalb der Partei beizubehalten.
Drohende Aufteilung in der AfD
Der Ausgang des Konflikts zwischen dem Meuthen-Lager und dem rechten Flügel ist noch völlig offen. Man kann jedoch davon ausgehen, dass Kalbitz‘ Ausschluss aus der Partei einen entscheidenden Effekt in dem Konflikt zwischen den beiden Fraktionen ausgelöst hat. Während vorher nur gemutmaßt werden konnte, dass Meuthen und Weidel in einem Machtkampf um die Spitzenkandidatur in der Partei stehen, wurden die tiefgreifenden Differenzen zwischen den beiden Politikern durch den Kalbitz-Fall immer deutlicher. Obwohl die Streitigkeiten noch nicht offiziell in die Öffentlichkeit getragen wurden, ist aus Parteikreisen zu hören, dass die Fronten zwischen Weidel und Meuthen verhärtet seien.
Falls Weidel sich als Spitzenkandidatin für die kommende Bundestagswahl aufstellen sollte, könnte Meuthens Führungsposition an der Parteispitze gefährdet werden – auch wenn er eine große Zustimmung im Bundesvorstand genießt. Zu groß ist der Gegenwind vom rechten Flügel, als dass der Parteivorsitzende ohne große Verluste davonkommen könnte. Denn auf Landesebene hat sich der rechte Flügel in vielen Bundesländern eine starke Basis aufgebaut. Eine Möglichkeit wäre, dass sich die AfD-Fraktion nach der Bundestagswahl in zwei Teile spaltet. Ganz unwahrscheinlich wäre dieses Szenario nicht: Immerhin hatte sich die Fraktion zuvor im baden-württembergischen Landesparlament aufgeteilt. Damaliger Initiator dieser Aufteilung: Meuthen.
Fehlende politische Überlebensfähigkeit
Die AfD steht vor einer schwierigen Aufgabe und muss möglicherweise um ihre politische Existenz kämpfen. Zu tief ist die Spaltung innerhalb der Partei vorangeschritten. Um diese Kluft zu schließen, muss die Parteispitze eine klare Linie aufzeigen und darf sich nicht in ihren Handlungen und Aussagen widersprechen. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass Meuthen seine Glaubwürdigkeit in kurzer Zeit wiederherstellen kann. Auf der anderen Seite scheint es unmöglich, dass Weidel die AfD mit der vollen Unterstützung der Parteimitglieder führen kann. Denn die Mehrheit der Partei definiert sich als „gemäßigt“ und distanziert sich vom rechten Flügel. Deswegen braucht die AfD eine moderate Person in der Parteiführung, die sich nicht in ihren Aussagen und Entscheidungen widerspricht – und sich klar vom rechten Flügel distanziert. Die Frage ist, ob eine solche Person unter diesen Bedingungen an die Spitze der Partei aufsteigen kann und ob die AfD dann überhaupt noch politisch überlebensfähig wäre.