Brandmauer gegen die AfD? / Photo: DPA (dpa)
Folgen

Kurz vor der Bundestagswahl ist die sogenannte Brandmauer wieder in aller Munde. Gemeint ist der bisherige Konsens in der deutschen Bundespolitik, nicht mit der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) gemeinsame Sache zu machen. Das reicht von inhaltlichen Kooperationen bis hin zu möglichen Koalitionen. Es ist kein deutsches Unikat, Rechtsaußen nicht in eine Koalition einzubinden.

Es ist hilfreich, einen Blick in andere europäische Länder zu nehmen, um von ähnlichen Strategien zu lernen und auch das Konzept der Brandmauer fundamental kritisch zu hinterfragen.

Cordon Sanitaire

In vielen europäischen Ländern, in denen rechtspopulistische Parteien bereits länger fester Bestandteil der politischen Landschaft sind, gibt es den sogenannten cordon sanitaire. Seinen Ursprung hat der Begriff in der Ausgrenzung von Nazi-Deutschland und der Sowjetunion in den Internationalen Beziehungen. Später wurde er gezielt als Strategie zur Nichteinbindung der erstarkenden Neuen Rechten verwendet.

Nur in wenigen Ländern besteht ein solcher cordon sanitaire noch heute. Damit konnte etwa der belgische Vlaams Belang bis heute von einer bundespolitischen Regierungsbeteiligung abgehalten werden. Erstmals gebrochen wurde dieser im EU-Kontext im Jahr 2000, als die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) in Österreich von der christdemokratischen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) in die Regierung aufgenommen wurde.

Was 2000 noch einen EU-weiten Aufschrei ausgelöst hatte, ist heute zur Normalität geworden. Mit Giorgia Melonis post-faschistischer Partei Fratelli d’Italia, davor der Lega von Matteo Salvini, Geert Wilders’ Ein-Mann-Partei in den Niederlanden oder auch den rechten Schwedendemokraten ist die Regierungsbeteiligung, Regierungsführung und Regierungsunterstützung rechter Parteien heute gang und gäbe in Europa.

Bröckelnder Konsens

In Österreich war es das Fehlen einer Brandmauer, das der FPÖ eine Regierungsbeteiligung ermöglichte. Dort hatte lediglich die Sozialdemokratie (SPÖ) mit der nach dem ehemaligen sozialdemokratischen Bundesobmann und Bundeskanzler benannten Vranitzky-Doktrin eine Koalition mit Rechtsaußen ausgeschlossen. Seither hat diese Haltung die SPÖ in eine strategisch ungünstige Position versetzt.

Mit dem Erstarken der FPÖ und der Schwächung der beiden ehemaligen Großparteien ÖVP und SPÖ hatten die Christdemokraten stets einen Vorteil in der inhaltlichen sowie strategischen Verhandlungsposition.

Verschiebung nach Rechts

Die Koalition der Konservativen mit der FPÖ war nicht einmalig. Neuauflagen einer Regierungskoalition mit der FPÖ unter geänderten Umständen inklusiver einer Radikalisierung und einem weiteren Erstarken von Rechtsaußen haben so weit geführt, dass die FPÖ in Österreich zuletzt zahlreiche Wahlen als führende Kraft gewonnen hat. Derzeit wird erstmals in der Nachkriegsgeschichte Österreichs eine Koalition unter Führung der post-nationalsozialistischen FPÖ geführt.

Die formale Aufnahme der FPÖ muss gleichzeitig vor einer weitaus problematischeren Entwicklung diskutiert werden: Der Hegemoniebildung rechter Positionen und damit einhergehend der Übernahme dieser Positionen vonseiten der ehemaligen Großparteien wie auch weiterer Kleinparteien.

Denn eine Angleichung politischer Positionen scheint in diesem Fall eher die Voraussetzung für eine Koalition zu sein. Während rechte Parteien tendenziell neokonservative libertäre Positionen von Mitte-Rechts Parteien im Bereich der Wirtschaft übernehmen, gilt umgekehrt, dass rechte Positionen im Bereich Migration und Gesellschaft mehrheitsfähig geworden sind.

Eine unklare Positionierung, wie sie bei vielen Mitte-Links-Parteien zu beobachten ist, hilft wenig. Anders gesagt: Eine Alternative zu Rechtsaußen hat Potential, auch wenn diese nicht zwangsläufig eine absolute Mehrheit ermöglicht, wie das Beispiel der Parlamentswahl in Frankreich gezeigt hat.

Rechter Kampf um Hegemonie

Deutschland steht mit der jungen Geschichte der AfD, die die Wahlkampagnen ihrer rechten Schwesterparteien erfolgreich kopiert hat, vor einer Herausforderung - zumindest auf nomineller Ebene. Denn die funktionale Brandmauer scheint hinter den Vorhängen zu bröckeln. Auch wenn eine Koalition der Unionsparteien mit der AfD 2025 nicht zustande kommt, könnte dies 2029 wahrscheinlicher werden. Denn mit der konstanten Verschiebung des Sagbaren und fortlaufenden Tabubrüchen erkämpft sich die AfD ihre gesellschaftliche Hegemonie.

Das war beispielsweise in Österreich zu sehen, wo zunächst die FPÖ und später Teile der ÖVP etwa die Menschenrechtskonvention infrage stellten. Und dabei gilt letztendlich: Das Wahlvolk geht zu Schmied und nicht zum Schmiedl. Denn langfristig sind rechte Parteien die Profiteure einer solchen Themenverschiebung.

Unions-Antrag zu Migration

So ist die Performance der deutschen Parteien im Zuge der Diskussion des Fünf-Punkte-Plans im Deutschen Bundestag am Mittwoch nicht nur ein anschauliches Beispiel. Er kann auch als tiefgreifende Zäsur in der politischen Landschaft Deutschlands gedeutet werden. Der Antrag der Unionsparteien unter Führung von Friedrich Merz zur Einsetzung dauerhafter Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern, einem Einreiseverbot für alle Menschen ohne gültige Einreisedokumente - auch bei Schutzgesuch - und Inhaftierung von Ausreisepflichtigen sowie tägliche Abschiebungen enthält Forderungen, die von der AfD geschrieben hätten sein können. Auf diese Art treibt die AfD nun die Christdemokratie vor sich her.

Die „liberale“ FDP will über die Forderungen hinausgehen. Dass Merz im Antrag die AfD als rechts markiert, hinderte letztere nicht daran, einem Programm zuzustimmen, das genauso gut von ihr kommen könnte. Damit führt die AfD die Unionsparteien vor, positioniert sich als staatstragend und feiert den Rechtsruck. Und Alice Weidel geht einen wichtigen und konsequenten Schritt weiter: Sie fordert die Union auf, die „undemokratische Brandmauer" zu brechen.

Die formale Brandmauer steht zwar noch, aber die inhaltliche schon lange nicht mehr. Diese Abstimmung zu Migration hat dies nun auch auf parlamentarischer Ebene gezeigt und einen Mythos entlarvt: Denn der Begriff der Brandmauer impliziert, dass die restlichen Parteien keinen Anteil an rechter Ideologie inklusive postkolonialer und postnationalsozialistischer Verflechtungen haben. Aber genau diese strukturelle Auseinandersetzung wäre aufseiten der nominell nicht-rechten Parteien notwendig, um dem Rechtsruck entgegenzuwirken. Das Versäumnis eines solchen Prozesses hat die derzeitige Situation – das Erstarken der AfD – erst möglich gemacht.

Meinungsbeiträge geben die Ansichten des jeweiligen Autors und nicht die der Redaktion wieder. Für Anfragen wenden Sie sich bitte an: meinung@trtdeutsch.com
Diese Seite verwendet Cookies. Wenn Sie weiterhin auf der Website surfen, stimmen Sie der Verwendung von Cookies zu. Erfahren Sie mehr
Akzeptieren