Keine Lust auf Vereinschef oder Kassenwart: Experten beobachten ein verbreitetes Desinteresse an Führungsaufgaben in Vereinen in Deutschland. „Früher hat man sich darum gerissen, Mitglied des Vorstands zu sein. Das ist inzwischen für viele eher lästig geworden“, sagte Holger Krimmer vom Stifterverband der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Wir haben einen drastischen Reputationsverlust bei Führungspositionen.“ Viele hätten nicht mehr den Anspruch, darüber Sozialprestige zu erlangen.
Die Folge offener Posten sei nicht selten, dass sich Vereine auflösen müssen, sagte Krimmer, der seit 20 Jahren zu Vereinen und Organisationen forscht. „Die Tatsache, dass Führungsfunktionen nicht mehr besetzt werden können, ist einer der Hauptgründe dafür.“ Laut Bürgerlichem Gesetzbuch (BGB) muss ein Verein einen Vorstand haben.
Andere Vereine wiederum fusionierten, was viele „noch vor einiger Zeit für unmöglich hielten“. Der Geschäftsführer der Vereinigung Zivilgesellschaft in Zahlen im Stifterverband verwies auf größere Sportvereine, die nach einem Zusammenschluss nur noch einen Verwaltungsapparat und eine Führungsspitze brauchten - statt zwei.
„Es steht nirgendwo, dass wir den starken einzelnen Vorstand brauchen“
Laut Krimmer muss ein Verein nicht zwangsläufig vor dem Aus stehen, wenn niemand die Leitung allein übernehmen will. „Die Rechtsform des Vereins ist unglaublich weit gestrickt. Es steht nirgendwo, dass wir den starken einzelnen Vorstand brauchen, der alles regelt.“ Dieser könne etwa auf 40 Schultern verteilt werden, sagte der Soziologe. „In der Satzung muss zwar geregelt werden, wie viele Vorstände ein Verein hat. Der Vorstand kann aber beliebig viele Mitglieder umfassen.“
Einer Erhebung des Stiftungsverbands zufolge gab es 2022 bundesweit rund 657.000 zivilgesellschaftliche Organisationen, 18.000 mehr als 2016. 94 Prozent davon waren eingetragene Vereine. Bei dem Rest handelte es sich um Stiftungen bürgerlichen Rechts, gemeinnützige Kapitalgesellschaften und gemeinwohlorientierte Genossenschaften.