Die Energiekostenkrise hat bereits deutliche Auswirkungen auf die Arbeit der Schuldnerberatungsstellen. Aktuell würden die gemeinsam ausgearbeiteten Haushalts- und Entschuldungspläne vieler Klienten wegen der stark steigenden Preise hinfällig, sagte der Schuldnerberater Malte Poppe vom Diakonischen Werk Mainz-Bingen in einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Für diese Menschen müsse in der Beratung faktisch „von vorne“ begonnen werden. Mit einem drastischen Anstieg der Fallzahlen neu überschuldeter Haushalte sei erst in einigen Monaten zu rechnen.
Bereits jetzt seit die durchschnittliche Wartezeit auf eine Erstberatung im Mainzer Umland allerdings von früher vier bis sechs Wochen auf drei Monate angestiegen. Aufgabe der Schuldnerberatungsstellen ist es unter anderem, gemeinsam mit den überschuldeten Haushalten deren monatliche Einnahmen und Ausgaben ins Lot zu bringen und mit Gläubigern außergerichtliche Einigungen auszuhandeln. Möglichkeiten zum Energiesparen gebe es in den betroffenen Familien oft kaum noch, sagte Poppe: „Wir können den Leuten nicht raten, dass sie sich doch einen neuen sparsamen Kühlschrank kaufen.“
Reduzierung auf nur lebensnotwendige Ausgaben
In den Gesprächen gehe es mittlerweile oft darum, auf alle Ausgaben zu verzichten, die nicht unbedingt lebensnotwendig sind, um wenigstens Ernährung, Miete und Heizung zu finanzieren. Aktuell betreue er beispielsweise einen Klienten, der täglich 50 Kilometer zur Arbeit pendeln müsse und aufgrund der ungünstigen Arbeitszeiten keinen öffentlichen Personenverkehr nutzen könne, berichtete der Berater. Der Mann verdiene 1.800 Euro netto, von denen aber über 300 Euro gepfändet werden. Ihm bleibe inzwischen kein Geld mehr zum Tanken. Manchmal gelinge es in solchen Fällen, einen Fahrtkostenzuschuss oder Gehaltsvorschüsse mit den Arbeitgebern auszuhandeln.
Die Hilfe für überschuldete Familien und Einzelpersonen werde dadurch erschwert, dass es zwar durchaus staatliche Maßnahmen zur Entlastung der Bevölkerung wie das 9-Euro-Ticket gegeben habe, aber unklar bleibe, wie es mit den Hilfen weitergehe: „Wir können keine wirkliche Perspektive bieten, denn wir wissen selbst nicht, was kommt.“
Poppe, der auch dem Vorstand der deutschlandweiten Bundesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung gehört, hält die aktuelle Krise für die schwerste seit Jahrzehnten. Die Coronavirus-Pandemie sei durch das Kurzarbeitergeld relativ gut abgefedert worden „Manche haben vielleicht auch ihr Vermögen eingesetzt, das jetzt aber nicht
mehr da ist“, sagte er „Es gab keine Zeit zum Luftholen dazwischen.“ Die Schuldnerberatung rechne daher damit, dass 2023 auch zahlreiche Menschen Hilfe benötigen werden, die bislang immer relativ gut mit ihrem Geld ausgekommen sind.
epd
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