September ist ein Superwahlmonat in Deutschland: Gleich drei Bundesländer rufen zu den Urnen – Brandenburg, Sachsen, Thüringen. Da es im erstgenannten Bundesland aber noch drei Wochen dauert (22. September), fokussiert sich dieser Artikel auf Sachsen und Thüringen.
Landespolitik war schon immer näher dran am Bürger als etwa Entscheidungen die in Bonn, später Berlin, getroffen wurden. Mitglieder einer Landesregierung sind natürlich auch deutlich mehr sichtbar in der regionalen Öffentlichkeit, Abgeordnete im Landtag kennen sich bestens mit den Gegebenheiten ihrer Wahlkreise aus. Viele gesetzgeberische Fragestellungen sind darüber hinaus föderal geregelt, man denke nur an das immer heiße Thema Bildungspolitik.
Doch 2024 scheint alles anders zu sein, vor allem jetzt im September. Abgesehen davon, dass viele Kandidatinnen und Kandidaten zu allen drei Landtagen verlauten lassen, jetzt müsse man sich wieder vor allem um „unser“ Bundesland kümmern – CDU-Spitzenbewerber für das Amt des Ministerpräsidenten in Thüringen Mario Voigt als Beispiel zur Frage Unterrichtsausfall und regionaler Wirtschaftsstandort –, dreht sich in Talkshows, Pressekonferenzen ebenso wie bei öffentlichen Wahlkampfauftritten eigentlich alles um die große Bundespolitik. Als da wären Migration, Ukraine, Inflation, Klimawandel. Doch nicht nur Themen ändern sich auch auf Landesebene. Hier kommen wir zum eigentlichen Argument dieses Beitrages: Wird sich das politische Spektrum in Sachsen und Thüringen so gravierend verändern, dass auch politische Erdbeben auf Bundesebene nachfolgen könnten?
Macht Linksaußen Rechtsaußen in Berlin politisch salonfähig?
Wenn wir dem renommierten Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap in seiner Analyse zustimmen, wird September ein schwarzer Monat für die Ampelregierung. Mit SPD und den Grünen weiter auf prognostiziertem Länder-Abstiegskurs und der FDP eventuell sogar unter der Fünf-Prozent-Hürde, werden Rufe nach bundesweiten Neuwahlen, siehe Friedrich Merz, mit Sicherheit noch lauter. Man denke an seinen Kommentar „Ampel regierungsunfähig“. Interessant in diesem Zusammenhang vor allem die Grünen – gegründet als ökologische Anti-Establishment-Partei, dann genau Teil jenes Establishments, dann wieder Protestpartei und jetzt in Sachsen wohl gerade noch einmal knapp über sechs Prozent, in Thüringen sogar unter fünf Prozent. Wird die Partei ohne grundsätzliche Neuorientierung dies langfristig überleben?
Stichwort ehemalige Protestpartei: Nach dem Bruch mit Die Linke positionierte sich das Bündnis Sahra Wagenknecht weit links der politischen Mitte, zuerst als Verein, und ab Januar 2024 als Partei. Das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) beruft sich auf traditionelle linke Außenpolitik, so z.B. in seinem Manifest vor der Parteigründung, wo man schrieb, man folge dem Kurs von Willy Brandt und Michail Gorbatschow – im Sinne derer Entspannungspolitik. Man fordert einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg und propagiert soziale Gerechtigkeit. Diplomatie Richtung Moskau? Warum nicht. Wie verhält sich Die Linke? In Sachsen weit abgeschlagen durch das neue BSW, in Thüringen noch konkurrenzfähig und vor allem aufgrund ihres Ministerpräsidenten Bodo Ramelow, der seit zehn Jahren die Geschicke des Landes führt.
Könnte AfD Nutznießer komplett veränderter deutscher Realpolitik werden?
In Großbritannien findet zurzeit eine Debatte unter Parteimitgliedern von Reform und Konservativen statt, ob sich beide Parteien nicht zusammenschließen sollten, um einen fundierteren Mitte-Rechts-Oppositionsblock zu kreieren. Nichts scheint unmöglich. Es ist also denkbar, dass sich der linke politische Diskurs in Deutschland ebenso Richtung Realpolitik bewegt und eines Tages BSW und Die Linke eine neue gemeinsame Partei gründen. Könnte dies das Ende der SPD als „zentrale Mitte-Links-Partei“ bedeuten? Würde die SPD im BSW/Linke-Lager auf Stimmenfang gehen oder eventuell versuchen, der AfD Stimmen abzuwerben? Derzeit beanspruchen BSW/Die Linke sozialdemokratische/sozialistische Positionen eindeutig für sich, unabhängig davon, ob der Bundeskanzler von der SPD gestellt wird oder nicht. Das Profil der SPD hat sich allem Anschein nach stark verwässert.
Und wir sprachen die Grünen an – ihre ursprünglichen Wähler scheinen es ähnlich den ursprünglichen SPD-Wählern zu sehen und zweifeln an der ökologischen Kompetenz ihrer ehemaligen Lieblingspartei. Die FDP ist eher vernachlässigbar und mit Sicherheit auf dringend erforderlicher Identitätssuche. Was uns zurückführt zur „neuen Linken“, der „neuen Rechten“ und der CDU in der Mitte, fast schon als politisches Urgestein zu bezeichnen.
AfD und BSW: Wölfe im Schafspelz?
Erstens: Wenn Spitzenpolitiker des BSW „das Ende der Willkommenskultur“ gegenüber Medienvertretern verkünden, wenn AfD-Politmanager „Sommer, Sonne, Remigration“ auf Plakaten fordern, muss eine funktionierende Demokratie hellhörig werden. Zweitens: Selbst ein zögerlicher Versuch der Annäherung seitens der CDU gegenüber der AfD, nur um im Amt zu bleiben, ist äußerst fragwürdig und gefährlich. Politiker, die Menschen in Not als Wahlkampfzugpferd wählen, sollten selbst nicht gewählt werden.
Es ist leider unumstritten, dass es unter Einwanderern genauso wie unter Einheimischen Gewalttäter geben mag. Unsere Gesellschaft ist aufgefordert das Thema Prävention und Radikalisierung besser zu vermitteln. Aber alle Migranten als Sündenböcke darzustellen, wo wir genau jetzt Hunderttausende neue Arbeitskräfte benötigen, ist grundlegend falsch. „Deutschland ist weltoffen“, sollte der bessere Slogan werden, um Rechtsextremismus zu verhindern. Schade, dass Teile der neuen Linken dies nicht verstehen wollen.