Seit dem Rücktritt Angela Merkels als Parteichefin und ihrer Aussage, sie wolle nicht bei den nächsten Wahlen voraussichtlich im Jahr 2021 für das Kanzleramt kandidieren, herrscht innerhalb der CDU ein großer Konkurrenzkampf.
Traditionell steht Annegret Kramp-Karrenbauer als Parteivorsitzende der erste Zugriff auf die Kanzlerkandidatur zu. Jedoch führten die Stimmverluste bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen zu ernsthaften Diskussionen innerhalb der CDU über einen Führungswechsel. Aus diesem Grund wurde der jüngste Parteitag der CDU im November 2019 mit Spannung erwartet.
In der CDU stehen sich Annegret Kramp-Karrenbauer und Friedrich Merz als Konkurrenten gegenüber. Im Dezember 2018 konnte Kramp-Karrenbauer noch den Machtkampf gegen Merz gewinnen und erlangte mit einem knappen Vorsprung den Parteivorsitz. Auf dem letzten Parteitag schaffte sie es, die Unterstützung der Delegierten zu gewinnen und eine von der Jungen Union hervorgebrachte Forderung einer Urwahl abzuwenden, mit der der nächste CDU Kanzlerkandidat bestimmt werden sollte.
Kramp-Karrenbauer konnte den Parteitag im November für sich nutzen und ihre Stellung festigen, indem sie unerwartet offen die Machtfrage stellte. Dadurch zog sie einen Großteil der Delegierten auf ihre Seite. Auch ihr größter Rivale Friedrich Merz stellte sich demonstrativ hinter Kramp-Karrenbauer und sprach ihr seine Unterstützung zu. Alles in allem wurde auf dem Parteitag Geschlossenheit präsentiert. Die Frage um den Kanzlerkandidaten steht jedoch noch immer im Raum. Kramp-Karrenbauer schob diese Frage auf den nächsten Parteitag. Diese Diskussion auf dem vergangenen Parteitag zu klären, wäre für sie - so kurz nach den Verlusten der CDU in den vergangenen Landtagswahlen - zu risikoreich gewesen. Ebenso wäre die Vermittlung von Geschlossenheit nach außen hin gestört.
Der Aufschub dieser Frage bis ins Jahr 2020 hinein verschafft ihr Zeit, um ihre politische Stellung innerhalb der Partei zu stärken - und gleichzeitig ihr Ansehen in der Bevölkerung zu steigern. Laut einer repräsentativen Umfrage des ARD-DeutschlandTrends im November sind 73 Prozent der Befragten mit der politischen Arbeit von Kramp-Karrenbauer unzufrieden. Eine weitere Umfrage des Insa Instituts stuft die CDU-Vorsitzende in einem Ranking der beliebtesten deutschen Politiker auf Platz 18 ein - während ihr Kontrahent Friedrich Merz auf Platz 4 verweilt. Für Kramp-Karrenbauer wird es wichtig sein, politische Erfolge bis zum nächsten Parteitag als Verteidigungsministerin aber auch als CDU-Vorsitzende vorzuweisen. Zudem gibt es vor dem Parteitag noch die Kommunalwahlen im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW, bei denen die Beliebtheit der CDU unter Kramp-Karrenbauer noch einmal auf die Probe gestellt wird. Der Ausgang der Kommunalwahlen wird gewiss auch Einfluss auf die innerparteilichen Machtstellungen haben.
Hinzu kommt ein weiterer Punkt, der die politische Arbeit Kramp-Karrenbauers zusätzlich erschwert: Sie ist als Parteivorsitzende nicht nur die Nachfolgerin von Angela Merkel, sondern wird auch als Nachfolgerin ihrer politischen Linie empfunden. Viele Parteimitglieder innerhalb der CDU verlangen jedoch eine Abkehr von dieser Politik, da dies mit dem Stimmenverlust der CDU in den vergangenen Jahren assoziiert wird.
Der Einfluss der WerteUnion auf die Wahl des Kanzlerkandidaten
Auch wenn Friedrich Merz Kramp-Karrenbauer seine Unterstützung zugesagt hat, bleibt er auf lange Sicht ihr größter Kontrahent innerhalb der CDU. Sollte die CDU im kommenden Jahr keine Erfolge verzeichnen können und Kramp-Karrenbauer an Macht verlieren, würde dies die Stellung von Merz stärken und auch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass er sie ein weiteres Mal offen herausfordert. Innerhalb der CDU gibt es eine Fraktion, die bei der Wahl des Kanzlerkandidaten eine entscheidende Rolle spielt und Einfluss auf innerparteiliche Machtverhältnisse haben könnte. Seit einigen Monaten erstarkt innerhalb der Partei die politisch rechts einzuordnende WerteUnion, der eine Nähe zur AfD nachgesagt wird. Die aktuellen Entwicklungen in der politischen Arena lassen die Vermutung zu, dass die WerteUnion auch im nächsten Jahr weiter an Macht gewinnen wird.
Unter den Parteimitgliedern waren Stimmen zu hören, die einen Ausschluss der WerteUnion vom Parteitag verlangten. Friedrich Merz bezog jedoch keine klare Stellung. Vielleicht auch weil sie ihn bei der Wahl zum Parteivorsitzendes im Jahr 2018 unterstützte. Ein Erstarken der WerteUnion würde auch die Stellung von Friedrich Merz innerhalb der Partei stärken und seine Chancen erhöhen, als Kanzlerkandidat der CDU gewählt zu werden.
Möglichkeit eines Kanzlerkandidaten außerhalb der CDU
Neben Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer kursiert ein weiterer Name als möglicher Kanzlerkandidat der Union. Dem CSU-Parteivorsitzenden und bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder wird zugetraut, die möglichen Kandidaten in der CDU herauszufordern. Von einem Machtkampf innerhalb der Schwesterpartei würde am meisten Markus Söder profitieren.
Der Eintritt eines solchen Falles wäre zwar eine Seltenheit, aber kein Einzelfall. Bereits zweimal trat ein CSU-Mitglied als Kanzlerkandidat der Union an. Im Jahre 1980 war es Franz Josef Strauß, der gegen den damals amtierenden Bundeskanzler Helmut Schmidt antrat. Im Jahre 2002 setzte sich Edmund Stoiber gegen Angela Merkel durch und trat gegen Gerhard Schröder an. Beide Male hatte die CDU ein Führungsproblem. Wenn es vor der nächsten Bundestagswahl zu keiner Einigung innerhalb der CDU kommen sollte, würde dies die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass ein Kandidat aus der CSU wieder herangezogen wird.
Für Markus Söder als Kanzlerkandidat spricht seine Beliebtheit in der Bevölkerung. Laut der Umfrage des Insa-Instituts ist er nach Friedrich Merz der fünftbeliebteste Politiker der Bundesrepublik. Im letzten Jahr hat er diverse Reformen für die CSU durchgeführt und auch auf dem Parteitag konnte er mit seiner Rede Sympathiepunkte sammeln. Zum einen zog Söder eine klare Grenze zur AfD, indem er sie als „Feinde“ bezeichnete. Zum anderen machte er deutlich, dass er die Union in der politischen Mitte sieht - und distanzierte sich von seinen scharfen Aussagen in der Vergangenheit. So sagte er: „Es klappt nicht, durch schärfere Rhetorik etwas zurückzuholen. Dann hat man erhebliche Substanzverluste in der bürgerlichen Mitte.“
Auch wenn Söder sagt, dass er keine Ambitionen hat, der nächste Kanzlerkandidat der Union zu werden, könnten ihn die Umstände innerhalb der CDU durchaus dazu drängen. Denn neben Friedrich Merz und Annegret Kramp-Karrenbauer gibt es noch weitere Politiker in der CDU, die als Kanzlerkandidat in Frage kämen. Einer dieser Politiker ist der Ministerpräsident von NRW und CDU-Vize Armin Laschet. Sollte auch er sich in Zukunft in der „Kanzlerfrage“ zu Wort melden, könnte dies in der CDU zu weiteren Diskussionen führen.
In 2020 wird es entscheidend sein, ob sich Kramp-Karrenbauer als Kanzlerkandidatin durchsetzen kann und ob sie innerhalb der CDU von anderen Politikern offen herausgefordert wird. Uneinigkeiten in der Frage des Kanzlerkandidaten könnten, wie in der Vergangenheit bereits aufgetreten, zu einer Kandidatur außerhalb der CDU führen.