Seit den späten 1990er Jahren wird in Deutschland über das sogenannte Kopftuch diskutiert. Sogenannt, weil im Begriff des „Kopftuches“ im Wesentlichen Projektionen dominanter Identitäten zum Vorschein kommen, die Selbstbestimmung nicht-weißer Menschen - insbesondere von Frauen - jedoch ungehört bleiben. Unzählig sind die Kommentare für und gegen ein Verbot zum Tragen einer Haarbedeckung der muslimischen Frau. Was wäre dieser Unmenge an Schriftsätzen also noch hinzuzufügen? Eine berechtigte Frage. Beginnen wir aber mit einem Abriss der jüngsten Ereignisse in Deutschland: 1998 wurde Fereshta Ludin die Ausübung ihres Berufes als Lehrerin verweigert. Nachdem sie durch mehrere Instanzen ging, urteilte das Bundesverfassungsgericht 2015 schließlich, dass ein solches Verbot aufgrund des Rechts auf Religionsfreiheit nicht pauschal gelten dürfe. Während manche Bundesländer Frauen mit Hijab wieder in den Dienst aufnahmen, verweigern dies andere.
Im April 2018 brach in Deutschland eine Debatte über ein Kopftuchverbot für Mädchen bis zum 14. Lebensjahr aus. Im Nachbarland Österreich wurde ein Verbot im Kindergarten sowie in der Grundschule von einer rechten Regierung als Schlag gegen den sogenannten „politischen Islam” umgesetzt. Auch die ehemalige baden-württembergische Kultusministerin und CDU-Politikerin Annette Schavan erklärte, das Kopftuch sei ein Symbol des politischen Islams, stehe für kulturelle Abgrenzung sowie eine Geschichte der Unterdrückung der Frau. Zuletzt erklärte die CSU, dass junge Mädchen kein Kopftuch tragen sollten, da dies ein „Ausdruck der Sexualisierung von Kindern” sei und die „unabhängige und neutrale Justiz als Grundpfeiler unseres Rechtsstaates” das Tragen eines Hijabs nicht ermöglichen sollte. All das wurde als Kampf gegen den „politischen Islam” geführt. Am CDU-Parteitag wurde dann auch beschlossen, dass ein Kopftuchverbot „als letztmögliche Maßnahme“ im Kindergarten wie in der Schule bis 14 Jahre gelten solle. „Das Tragen des Kopftuchs macht aus den kleinen Kindern schon erkennbar Außenseiter, etwa auf dem Spielplatz oder auf dem Schulhof. Dies wollen wir in jedem Fall verhindern”, hieß es in einer Beschlussempfehlung. Diese Richtung innerhalb der Unionsparteien wurde weiter forciert, obwohl der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2017 zu dem Ergebnis kam, dass ein Kopftuchverbot verfassungsrechtlich „nicht zulässig” wäre. Genau deswegen wurden neue juristische Gutachten in Auftrag gegeben, die genau dieses Verbot legitimieren sollten. In NRW hatte die CDU-geführte Regierung zwischenzeitlich wieder davon abgelassen, ein solches Verbot einzuführen, weil dieses auf zu unsoliden rechtlichen Füßen stehen würde. Mein Interesse besteht an dieser Stelle nicht darin, die einzelnen Argumente für und gegen ein solches Verbot miteinander abzuwägen. Vielmehr möchte ich den Blick auf etwas – aus meiner Sicht – Wesentlicheres lenken: Was bedeutet es, wenn die Marginalisierten und zum Sprechen nur selektiv Zugelassenen stumm gestellt werden? Was bedeutet es, wenn Akteure der dominanten Mehrheitsgesellschaft das „Andere“ definieren und sich damit ihrer bemächtigen?
Blicken wir auf die Argumente, die vonseiten der christdemokratischen Unionsparteien vorgebracht werden, um ein Verbot des Hijab zu rechtfertigen, so sehen wir, dass muslimische Stimmen darin nicht vorkommen. Selbst nominelle Muslim*innen übernehmen die Positionen der weißen Dominanzgesellschaft, was mitunter ihren Erfolg innerhalb der Strukturen dieser erklären mag.
Die Stimmenlosigkeit der Muslim*innen offenbart einen anderen Gedanken: Die so agierenden Parteien streben eine Gesellschaft an, in welcher der Nationalstaat autoritäre Züge annehmen und das Leben von Menschen bis in ihre Privatsphäre hinein regulieren solle - wenn diese der nicht weiter sichtbar gemachten weißen Dominanzposition entspricht.
Indem das elterliche Erziehungsrecht für nicht-weiße Personen in Zweifel gezogen - und Religionsfreiheit primär selektiv der eigenen dominanten Kirche zugesprochen wird, wird ein Staat mit einer Gesellschaft imaginiert, welche die unsichtbar gemachte weiße, scheinbar christliche Position zur Norm erhebt, diese Machtposition verfestigt. Während das „anders“ gemachte Muslimische zur bedrohlichen Differenz erhoben wird.
Eine eigenmächtige Selbstdefinition wird nicht in Betracht gezogen, weil die Stimme von Muslim*innen, die sich selbstbewusst auf ihren Islam beziehen, als minderwertig erachtet wird. Indem Muslim*innen als zivilisatorisch nicht ebenbürtig angesehen werden, werden sie zu stimmlosen Menschen. Nicht, weil sie nicht sprechen können, sondern weil sich die Dominanzgesellschaft ihnen gegenüber gehörlos stellt. Man will sie nicht hören, weil sie die eigene Vorstellung einer homogenen nationalen Gemeinschaft in Frage stellen. Die Realitätsverweigerung solcher Parteien, die die Vielfalt der Gesellschaft wegzumachen gedenkt, indem sie sichtbare Differenz aus den Machträumen verbannt, ist vielaussagend für den autoritären Charakter dieser politischen Tendenz.