250 Millionen Impfdosen bis Ende Juni. Weitere 500 Millionen bis zum Jahresende. Und schließlich eine Milliarde Dosen pro Jahr, wenn alles einmal wie am Schnürchen läuft. Das neue Biontech-Werk in Marburg wird zum Dreh- und Angelpunkt in der Versorgung mit dem begehrten Corona-Impfstoff. Und zu einer der größten Fertigungsstätten dieser Art weltweit.
Rund zwei Monate nach dem Produktionsbeginn sollen in diesen Tagen die ersten Lieferungen das Werksgelände in der mittelhessischen Stadt verlassen und dann zum sterilen Abfüllen und Etikettieren ins Werk des Biontech-Partners Pfizer im belgischen Puurs gebracht werden. In der zweiten Aprilhälfte werden, nach abschließenden Prüfungen, die ersten Vakzine aus Marburg in den Impfzentren landen - von vielen Menschen sehnlichst erwartet.
Damit hält Biontech den ehrgeizigen Zeitplan ein, den das Unternehmen beim Beginn der Herstellung Anfang Februar verkündet hatte. „Die Produktion ist tatsächlich wundervoll angelaufen, gerade unter dem Zeitdruck, unter dem man ja steht“, freut sich Produktionsleiterin Valeska Schilling. „Wenn man sich vorstellt, dass man normalerweise für diese Transferprojekte, für neue Produkte sehr viel länger bräuchte in der pharmazeutischen Industrie, ist das tatsächlich ein Unikum.“
Biontech hat das Marburger Werk im vergangenen Herbst vom Schweizer Pharmariesen Novartis übernommen - noch bevor sich die Mainzer überhaupt sicher sein konnten, dass ihr Impfstoff, der damals noch in der klinischen Testphase war, einmal in der EU, den USA oder anderswo zugelassen wird. Diese selbstbewusste Zuversicht des Unternehmens hat sich ausgezahlt, denn nach der Genehmigung gehört der Biontech-Impfstoff zu den begehrtesten Produkten, die es derzeit weltweit gibt.
Übernommen hat Biontech von Novartis nicht nur das Werk, sondern auch die Mitarbeiter. Sie stehen nun an einer wichtigen Stelle im Kampf gegen die Pandemie. Von allen Seiten werde man auf die Arbeit bei Biontech und die Herstellung des Impfstoffs angesprochen, berichtet Schilling. „Es ist auch verständlich, dass einen jetzt jeder fragt, weil jeder wissen möchte, wann sich die Situation endlich ändert“, sagt sie. „Das Gefühl, genau diesen Impfstoff jetzt herzustellen, ist natürlich Wahnsinn.“ Jeder der knapp 400 Beschäftigten in Marburg sei sich der besonderen Situation bewusst und arbeite mit dem Ziel, „dass das Maximale erreicht werden kann“.
Drei von vier Arbeitsschritten bei der Produktion des Impfstoffs geschehen in Marburg. Am Anfang steht die Herstellung des Botenmoleküls mRNA. Diese Grundlage wird in weiteren Schritten gereinigt, konzentriert und schließlich in eine Hülle aus Lipiden gebracht.
Die Zutaten auf dem Weg zum fertigen Präparat erinnern dabei fast an ein Backrezept: Man füge Salz(e), Fett(e) und etwas Zucker hinzu. Doch da endet schon die Gemeinsamkeit, denn es handelt sich um spezielle Salze und „Fetttröpfchen“, die dafür sorgen, dass der pH-Wert stabilisiert und der Wirkstoff in einer Schutzhülle verpackt wird. So kann die empfindliche mRNA besser in die Zellen gelangen und dort ihre Wirkung entfalten. Der Zucker (Saccharose) hilft, dass die Fetttröpfchen bei den kalten Lagertemperaturen nicht klebrig werden.
Schließlich muss der hergestellte Impfstoff noch abgefüllt, etikettiert und fertiggestellt werden - dies geschieht aber nicht mehr in Marburg. Insgesamt 50 000 Arbeitsschritte sind nötig von der Herstellung der mRNA bis zum fertigen Impfstoff. Begleitet wird die Produktion von ständigen Qualitätskontrollen, strengen Regeln und Sicherheitsvorkehrungen, damit keine Verunreinigungen die Wirkstoffqualität beeinträchtigt. Über 2600 Dokumente begleiten den akribisch zertifizierten Prozess.
Die hohen Ansprüche an die Sauberkeit gelten schon bei der „Geburtsstunde“ des Impfstoffs: der Herstellung der mRNA in einem Bioreaktor. Unter Reinraumbedingungen wird dort der eigentliche Wirkstoff erzeugt. Die Mitarbeiter dort sehen in ihren Schutzanzügen fast wie Astronauten aus. Gut 20 Minuten brauchen selbst geübte Profis, bis sie ihre Arbeitskleidung angelegt haben. Sogar spezielle Unterwäsche, die kaum Fasern freisetzt, gehört dazu.
Das sehe schlimmer aus, als es tatsächlich sei, sagt eine Laborantin über ihr futuristisch anmutendes Outfit. Biontech hatte an diesem Tag Besucher in das neue Werk geführt und dabei auch die Arbeiten im Reinraum in einer Simulation vorgestellt. Schnelle Bewegungen sind hier verboten, schließlich will man Verwirbelungen vermeiden, auch wenn die Luft mehrfach gefiltert wird. Nach 3,5 Stunden gibt es eine Pause außerhalb der Sterilität des Reinraums.
Mit einer einzigen mRNA-Charge können rund acht Millionen Impfdosen hergestellt werden. Bis die Charge fertig ist, dauert es etwa zwei Tage. Aufbewahrt wird die kostbare Flüssigkeit in einem speziellen, durchsichtigen Gefäß. Dieser lapidar als „Bag“ (Tasche) bezeichnete Behälter fasst 35 Liter. Darin sind gerade einmal 350 Gramm mRNA.
Von den insgesamt rund 400 Mitarbeitern sind 200 direkt am Produktionsprozess beteiligt, nicht nur bei der mRNA-Herstellung, sondern auch bei den folgenden Schritten, die genauso wichtig sind, damit das Endprodukt schließlich die geforderte Qualität hat. Sie arbeiten im Schichtbetrieb - rund um die Uhr und an sieben Tagen in der Woche.
Der Zeitdruck, der wegen der Pandemie herrscht, sei sicherlich eine der großen Herausforderungen gewesen, um die Herstellung ins Rollen zu bringen, erklärt Schilling. Schließlich mussten alle Mitarbeiter auf die neuen Produktionsprozesse umgeschult werden. Glücklicherweise hätten auch die Zulieferfirmen und Partner in dieser kritischen Anlaufphase „fantastisch mitgearbeitet“.
Und nach diesen aufregenden Wochen freut sich das Marburger Biontech-Team, dass die hier produzierten Impfstoffe bald zur endgültigen Fertigstellung das insgesamt 1800 Quadratmeter große Werk verlassen und danach zu den Impfzentren gebracht werden. „Die erste Charge ist immer so ein bisschen das Sahnehäubchen auf den ganzen Bemühungen, die man da monatelang hatte“, erklärt die Produktionsleiterin.
3 Apr. 2021
dpa
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