von Muhammed Ali Uçar
TRT Deutsch hat mit Georg Karabaczek gesprochen. Er ist österreichischer Wirtschaftsdelegierter in Istanbul für die Länder Türkei, Georgien und Aserbaidschan.
Was ist Ihre Aufgabe als österreichischer Wirtschaftsreferent in der Türkei?
Wir sind unter dem Namen ADVANTAGE AUSTRIA Türkei für die Förderung und Stärkung der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei und Österreich tätig. Gleichzeitig sind wir aber auch die Handelsabteilung des österreichischen Generalkonsulates in Istanbul sowie der österreichischen Botschaft in Ankara.
ADVANTAGE AUSTRIA ist ein Teil der Wirtschaftskammer Österreich mit einem weltweiten Netz von rund 110 Stützpunkten in über 70 Ländern. Wir bieten österreichischen Unternehmen und deren internationalen Geschäftspartnern ein umfangreiches Serviceangebot. In der Türkei haben wir neben Istanbul auch ein Büro in Ankara. Unser Büro in Istanbul blickt auf eine knapp siebzigjährige Geschichte zurück; damit ist es eines unserer frühen Büros. Wir organisieren zahlreiche Veranstaltungen zur Herstellung von Geschäftskontakten, beraten Firmen individuell und setzen uns für eine Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich ein. Von Istanbul aus betreuen wir auch Georgien und Aserbaidschan. Wir sind für Export / Import, Sourcing, Technologietransfer, aber auch Investitionen in beide Richtungen zuständig.
Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Türkei und Österreich schauen auf eine sehr lange Vergangenheit zurück. Vergessen wir nicht, dass wir über Jahrhunderte Nachbarn waren. Wussten Sie, dass es bereits im 19. Jahrhundert eine Österreichisch-Ungarische Handelskammer in Istanbul gab? Unsere modernen Beziehungen wurden 1996 mit einem Kooperationsvertrag zwischen der TOBB (Türkiye Odalar ve Borsalar Birliği) und der Wirtschaftskammer Österreich gefestigt. Seit 1996 ist auch ein sehr starker Anstieg unserer Handels- und Investitionsaktivitäten zu verzeichnen. Diese positive Entwicklung ist natürlich vor allem auf den Abschluss der Zollunion zwischen der Türkei und der EU zurückzuführen. Unser bilateraler Handel mit Waren und Dienstleistungen hat dramatisch zugenommen und belief sich im vergangenen Jahr auf insgesamt rund 3,8 Mrd. EUR. Die gute Nachricht ist, dass unser Handelsaustausch recht ausgewogen ist – das ist immer ein gutes Zeichen; die Türkei exportiert mehr Waren, Österreich mehr Dienstleistungen.
Was sind die Gründe, die die Türkei für den Staat Österreich und österreichische Investoren so attraktiv machen?
Österreichische Unternehmen zeigen ein starkes Engagement in der Türkei – was sich durch die Zahlen der ausländischen Direktinvestitionen bemerkbar macht. Es gibt mehr als 250 österreichische Unternehmen mit Tochtergesellschaften in der Türkei. Mit fast. 10 Mrd. USD Gesamtinvestitionen ist Österreich laut türkischer Statistik einer der Top-Investoren in der Türkei. Und die österreichischen Investitionen werden fortgeführt. Dies zeigt ein langfristiges Engagement unserer Unternehmen. In diesem Zusammenhang würden wir uns wünschen, dass auch mehr türkische Unternehmen in Österreich investieren, denn es gibt bei dem aktuellen türkischen Investitionsniveau von rund 300 Mio. EUR garantiert noch Luft nach oben.Schlussendlich bleibt eines zu betonen: Vergessen wir nicht, dass es sich bei der Türkei für österreichische Unternehmen in jeder Hinsicht (Export, Import, Investition) um einen Top-20-Partner handelt. Die Türkei ist attraktiv, da es sich um einen großen Markt mit einer jungen, arbeitswilligen Bevölkerung handelt, der aber gleichzeitig durch seine geopolitische Lage auch dazu einlädt, von hier auf Drittmärkte zu expandieren. Die gute industrielle Infrastruktur der Türkei ist dafür sehr vorteilhaft.
In welche Wirtschaftszweige in der Türkei investieren österreichische Firmen?
Die wichtigsten Produkte der Türkei sind heute Automobilprodukte sowie Weiß- und Braunwaren, gefolgt von traditionellen Produkten wie Textilien, Bekleidung sowie Obst und Gemüse. Österreich exportiert hauptsächlich Maschinen und Anlagen, Stahl, Papier, Textilfasern und Pharmazeutika.Große österreichische Investoren in der Türkei sind: RHI in Eskisehir – Magnesit a.s. (Magnesit-Abbau), Böhlerit (Sintermetall) – beide seit über 50 Jahren aktiv; aber auch Hamburger-Dunapack Packaging (Papier und Verpackung bzw. Recycling), Mondi, Greiner Packaging und Alpla (alle Verpackung), Voestalpine (Weichenwerk), Egger Holzwerkstoffe, Kronospan (Holzplatten) Ardex (Industrieklebstoffe), Baumit (Baumaterialien), AVL (Software, Automotive) und die Post AG (Transportdienstleister), Do & Co (Catering – Turkish Airlines), Vienna Insurance Group (Ray Sigorta), um nur einige zu nennen. Einige dieser Unternehmen haben auch in den letzten Jahren wieder Investitionen getätigt.
Inwieweit wurden die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Österreich von der Covid-19-Pandemie beeinträchtigt?
Vor der Pandemie hatten wir viele Messebeteiligungen, Veranstaltungen und Wirtschaftsmissionen organisiert und konnten so Menschen zusammenführen, was für eine erfolgreiche Geschäftsanbahnung unumgänglich ist. Während der Pandemie haben wir uns bemüht, diese Aktivitäten im Rahmen von Onlineplattformen anzubieten, was natürlich nur bis zu einem gewissen Grad möglich ist. Es gibt Sektoren, die unter COVID stark gelitten haben, aber auch Unternehmen, die relativ gut durch die Krise kommen. Logistik ist z.B. einer der weniger betroffenen Sektoren. Wir erhalten in den letzten Monaten von österreichischen Firmen auch eine steigende Zahl an Sourcing-Anfragen. Vor allem Metall-, Automotive- und Textilindustrie sind Sektoren, die ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt sind.
Können Sie uns vom gegenseitigen Handelsvolumen zwischen der Türkei und Österreich berichten? Was sind Ihre Erwartungen bezüglich des Handelsvolumens der beiden Staaten für die kommenden Jahre?
Die dynamische Entwicklung unserer Wirtschaftsbeziehungen hat sich in letzter Zeit etwas verlangsamt. Wir sehen aber deutlich, dass alle österreichischen Unternehmen, die mittel- und langfristig denken, die Türkei im Fokus haben. Einige haben in den letzten Monaten auch Investitionsentscheidungen getroffen. Insgesamt sprechen wir hier von einem Austausch von Waren und Dienstleistungen im Ausmaß von rund 3,8 Mrd. EUR. Auch wenn es daher derzeit keinen Boom von Interessenten aus Österreich gibt, sind wir für die Zukunft optimistisch. Die Türkei ist für die EU und für Österreich ein großer, interessanter Markt mit einer jungen Bevölkerung, die unternehmerisch denkt. Noch nicht zur Genüge ausgeschöpft haben wir außerdem das Potenzial für die Durchführung von gemeinsamen Projekten auf Drittmärkten. Die türkischen Baufirmen, die zu den wichtigsten weltweit zählen, sind in Märkten besonders stark, wo Österreich traditionell nicht so gut aufgestellt ist: Denken wir an vielversprechende Projekte in den türkischen Republiken Zentralasiens, im Nahen Osten und vor allem auch in Afrika. Eine türkische Präsenz mit österreichischem hochspezialisiertem Know-how hat sicherlich sehr gute Chancen. Kürzlich wurde ein Vertrag zur Zusammenarbeit zwischen der Türk Eximbank und der Österreichischen Kontrollbank AG (OeKB) unterzeichnet. Diese Kooperation wird es ermöglichen, auch gemeinsame Finanzierungen aufzustellen. Dann sollte die türkisch- österreichische Partnerschaft unschlagbar sein. In den nächsten Monaten werden wir jedenfalls verstärkt Aktivitäten in diese Richtung unternehmen.
Können Sie zum Abschluss ausführen, welche Chancen sich türkischen Unternehmen und Investoren bei möglichen Investitionen in Österreich bieten?
Den meisten Lesern werden kaum Firmennamen bzw. Produkte einfallen, wenn sie an Österreich denken. Viele wissen nicht, dass die bekannten Marken Red Bull und Swarovski aus Österreich stammen oder die Kaffeehäuser von „Coffeeshop Company“ in Österreich ihren Ursprung haben. Viel eher denkt man dabei an Musik, Kultur, Tourismus, Skifahren, vielleicht noch Wien und Salzburg.Dabei ist Österreich ein hochentwickeltes Industrieland mit einer der höchsten Quoten für Forschung und Entwicklung weltweit. Österreich gehört zu einem der stabilsten und reichsten Ländern weltweit. Woher kommt das? In der österreichischen Wirtschaftsstruktur dominieren v.a. kleinere und mittlere Unternehmen. Die Wirtschaft ist weit diversifiziert; die wichtigsten Industriezweige in Österreich sind Nahrungs- und Genussmittelindustrie, Maschinen- und Stahlbau, Chemie und Fahrzeugindustrie, Elektro- und Elektronikindustrie sowie Holz- und Papierindustrie. Immer mehr an Bedeutung gewinnt auch die Start-up-Szene. Der Erfolg basiert auf diesen mittelständischen Firmen, die sehr viele „Hidden Champions“, also Weltmarktführer in Nischenmärkten, hervorgebracht haben. Mit einer Investition in Österreich erhält eine türkische Firma Zugang zu dieser Industrie-, Wirtschafts- und Forschungslandschaft. Österreich ist auch der ideale Ausgangspunkt für die Marktbearbeitung von Osteuropa, aber durchaus auch für die nahegelegenen europäischen Märkte.
Vielen Dank für das Gespräch!