von Feride Tavus
Der Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA) unterstützt seit über 18 Jahren Mitglieder aus Mittelstand und Großunternehmen in vielen Ländern der Welt. Aus Sicht der BWA ist die Türkei ein attraktiver Standort für Investoren, auch solche aus Deutschland. Neben klassischen Branchen, in denen deutsche Türkei-Investoren jetzt schon etabliert sind, bieten sich auch auf den sogenannten Zukunftsmärkten vielversprechende Investitionschancen mit Wachstumspotenzial an. Der BWA-Vorstandvorsitzende Michael Schumann erklärt im Gespräch mit TRT Deutsch, warum gerade jetzt Unternehmen investieren sollten und was Deutschland von der Türkei lernen kann.
Die Türkei versucht mithilfe vielfältiger Förderungsmaßnahmen ausländische Investoren anzulocken. Wie wurden die Weichenstellungen angenommen?
Ich denke, dass die Zahlen für sich sprechen. Auch wenn wir im Moment in den Medien ja viel von den Währungsturbulenzen der türkischen Lira hören: Wenn wir mal den Blick zurück wenden auf das, was die Türkei in den letzten 17 Jahren geschafft und geleistet hat, dann ist das ja sehr, sehr eindrucksvoll. Und selbst in diesem doch recht herausfordernden und schwierigen Jahr wächst die Wirtschaft weiter.
Ich glaube nach wie vor, dass die Türkei ein sehr attraktiver Investitionsstandort ist. Wir haben ja auch eine nennenswerte Anzahl von deutschen Unternehmen, ich glaube, es sind 7500. Nach aktuellen Erhebungen sind jene, die in der Türkei unterwegs sind, auch trotz der kurzfristigen Bedenken, die man jetzt hat, langfristig sehr optimistisch.
Welche Branchen bieten aus Ihrer Sicht ein besonders großes Potenzial?
Man hat ja so die die klassischen Punkte: die Türkei als Tourismus-Markt, die Türkei als ein Markt, um herzustellen und für den Export zu arbeiten. Das Land gilt auch als Drehscheibe, als Zugang zu den Märkten in Richtung Asien und Richtung Mittlerer Osten. Es ist es auch ganz wichtig, vielleicht zu schauen, was man darüber hinaus an Möglichkeiten hat.
Ich glaube, dass das Bild, das wir in vielen deutschen Köpfen von der Türkei haben, ein bisschen angestaubt ist und vielleicht auch nicht mehr wiedergibt, wie sich das Land entwickelt hat. Ich glaube, dass es auch für Zukunftstechnologien, für Innovationen, für die Automobilindustrie, für IT, eCommerce und Finanzen ein interessanter Standort sein kann.
Die Türkei verzeichnete als eines von wenigen Ländern weltweit auch im Pandemiejahr eine wachsende Wirtschaft. Konnten auch deutsche Unternehmen, die in Türkei tätig sind, davon profitieren?
Ja, natürlich. Wir haben unter den deutschen Unternehmen, die in der Türkei investieren, viele, die für den Export dort arbeiten, und das heißt: Man exportiert und rechnet ab, eben in Euro oder Dollar, und hat Kosten in Lira. Es war vielleicht noch nie so ein guter Zeitpunkt wie jetzt, mit einem noch vergleichsweise starken Euro in die Türkei zu gehen.
Es ist sehr bedauerlich, dass Volkswagen damals nicht sein Projekt umgesetzt hat, so wie es geplant war. Aber vielleicht wird man auch auf dem Gebiet der Elektromobilität neue Entwicklungen sehen. Wir sehen solche auch auf dem Gebiet der Gesundheitskooperation. Pharmazie, MedicalHealth – das sind die Themen, die durch die Pandemie auch nach oben gespült wurden. Auch da ist die Türkei doch ein interessanter Produktionsstandort.
Trotz phasenweiser Turbulenzen in der türkischen Wirtschaft investieren deutsche Firmen weiter in der Türkei und verdienen Geld. Ist das ein Widerspruch?
Man kann es den Unternehmen nicht vorwerfen, wenn sie ihre Chancen ergreifen. Deswegen werden natürlich solche Rahmenbedingungen, wie wir sie im Moment vorfinden, zu weiteren Investitionsanreizen führen. Es bleibt zu hoffen, dass mehr deutsche Unternehmen dort tätig werden, dass sie dann eben auch Arbeitsplätze schaffen, dass sie zum Wirtschaftswachstum in der Türkei weiter mit beitragen, dass auch Gewinne reinvestiert werden.
Welchen Herausforderungen steht ein deutscher Unternehmer gegenüber, der sich in der Türkei engagieren will?
Wie schon gesagt: Viele Informationen, die man hier hat, sind meiner Einschätzung nach ein bisschen angestaubt. Hinzu kommt das mediale Klima derzeit, das leider immer nur auf kritische Themen oder auch negative Schlagzeilen fokussiert ist und sehr selten das Positive nach vorne stellt. Ich glaube, dass der Unternehmer ja vielleicht zunächst mal auch wirklich aus eigenem Erleben und und Anschauen heraus ein Gefühl für den Markt entwickelt. Das halte ich für ganz, ganz wichtig, dass man wirklich vor Ort Kontakte aufbaut, Netzwerke aufbaut und dann gründlich den Markt analysiert. Und auch die Angebote der Kammern sind recht hilfreich. Ich glaube, dass die Chancen die Risiken dabei überwiegen.
Werden Investitionsentscheidungen von einem politischen Kalkül überschattet?
Ich denke, es ist wichtig, dass wir zunächst einmal schauen sollten, wo unser wohl verstandenes wirtschaftliches Interesse liegt. Und Deutschland ist sehr, sehr stark abhängig von der Exportwirtschaft. Wir sind keine Ressourcenökonomie. Wir leben vom internationalen Engagement. Und es ist leider bedauerlich, aber einfach so zu konstatieren, dass sich die veröffentlichte Meinung und der politische Diskurs auf der einen und der eher realpolitisch orientierte Diskurs des Mittelstands und der Wirtschaft nicht aufeinander zubewegen. Man bekommt manchmal das Gefühl, dass wir eher diametral auseinandergehen. Das ist keine gute Entwicklung, was den Wirtschaftsstandort Deutschland betrifft.
Ich hoffe, dass es auch der neuen Regierung, die da aus sehr unterschiedlichen Parteien besteht, gelingt, doch einen Kurs zu fahren, der im Interesse des Landes liegt. Die neue Bundesregierung ist ja vielleicht nicht primär dafür gewählt worden, die deutsche Außenpolitik zu verändern, sondern doch dazu, das Land zu modernisieren. Und wenn es darum geht, Deutschland zu modernisieren, dann brauchen wir weiterhin eine starke Exportwirtschaft. Dann müssen wir schauen: Was sind die aufstrebenden Wirtschaftsräume, die Regionalmächte, mit denen man arbeiten kann? Und da zählt die Türkei sicherlich mit dazu und gehört auch an erste Stelle.
Dies gilt allein schon, wenn man sich die Historie anschaut, wie stark unsere Gesellschaften miteinander verflochten sind – auch das, was türkische Menschen zum Wirtschaftswachstum in Deutschland beigetragen haben, auch was die türkische Unternehmerschaft hier in Deutschland für einen Beitrag leistet. Und ich denke, Ideologie darf nie Expertise ersetzen, und das ist ganz wichtig.
Sind die Turbulenzen auf dem Markt hausgemacht oder das Ergebnis einer Türkeipolitik?
Die Kennzahlen, die die türkische Wirtschaft an den Tag legt, und das Wachstum, das die türkische Wirtschaft auch durch die Krise gezeigt hat, sind Faktoren, die eine Abwertung der Währung, so wie wir sie an den internationalen Finanzmärkten derzeit sehen, eigentlich nicht rechtfertigt. Ich denke, dass in der Tat all das, was wir an Hard Facts haben, was die türkische Ökonomie auszeichnet und die Erfolgsgeschichte, die man gesehen hat, eigentlich zu mehr Zuversicht und Sicherheit, auch was die Währung angeht, führen sollte.
Schauen Sie auf den Euro und die Stabilisierungsmaßnahmen, die in der Eurozone getroffen worden sind, jetzt auch aus der Notwendigkeit der Pandemie heraus… und die Inflationsraten, mit denen wir konfrontiert sind. Da kann man sich auch fragen, ob der Euro eigentlich die Bewertung, die er hat, im Moment noch verdient.
Wie wird sich aus Ihrer Sicht die Türkei weiterentwickeln?
Ich gehe davon aus, dass sie sich gut weiterentwickeln wird, ganz so viel wird in der Türkei nicht falsch gemacht. Ich denke, dass es auch wichtig ist, gerade jetzt, wo es um die Modernisierung und die Reform und um den Aufbruch quasi auch innerhalb Deutschlands geht, zu schauen, was wir von anderen Ländern, von anderen Wirtschaftsräumen lernen können. Also ich würde vielleicht die Frage gerne auch mal so formulieren wollen: Was können wir eigentlich hier in Deutschland von der türkischen Wirtschaft und der türkischen Entwicklung lernen? Und dass wir da mal hinschauen und da gibt es ja Punkte, zum Beispiel im Onlinebanking. Da funktionierte vieles ganz schnell und besser und auch effizienter, als das hier in Deutschland der Fall war. Sie sind auch in der Lage, gute Flughäfen zu bauen.
Was immer einen wirklich beeindruckt, ist auch die Servicementalität – auch der Kundendienst von Unternehmen. Wenn Sie heute hier in Deutschland ein Haushaltsgerät kaufen und dann schauen, dass sie noch den Handwerker dazu kriegen, dann wachsen Ihnen graue Haare. Das lief in der Türkei alles immer besser und schneller. Das ist etwas, was wir leider ein bisschen verloren haben bei uns in Deutschland. Und ich würde mir wünschen, dass wir uns da ein bisschen mehr inspirieren ließen und eben auch tatsächlich hinschauen.
Danke für das Gespräch!