Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) senkte am Donnerstag ihre Prognose für das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes auf 0,2 Prozent, nachdem im Februar noch 0,3 und im November 0,6 Prozent erwartet worden waren. Für keine andere große Industrienation wird eine so schwache Konjunktur vorausgesagt. Erst 2025 soll es mit 1,1 Prozent wieder zu einem kräftigeren Wachstum reichen. Zum Vergleich: Für die Weltwirtschaft hob die in Paris ansässige OECD ihre Prognose für das laufende Jahr von 2,9 auf 3,1 Prozent an, für die Euro-Zone von 0,6 auf 0,7 Prozent.
„Dies liegt daran, dass die Produktion in der energieintensiven Industrie, welche ein größeres Gewicht in der deutschen Wirtschaft hat als in anderen Ländern der Euro-Zone, noch immer beeinträchtigt ist“, erklärte OECD-Deutschlandexperte Robert Grundke die schwachen Aussichten. Als weiteren Grund für das schwache Abschneiden nennt der Industriestaatenklub die restriktive Fiskalpolitik.
Dämpfer durch Schuldenbremse und Verunsicherung der Unternehmen
„Die Wiedereinsetzung der Schuldenbremse und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, welches die Nutzung von Sondervermögen zur Finanzierung von Ausgaben stark eingeschränkt hat, führen zu einer starken Reduzierung der öffentlichen Ausgaben 2024“, sagte Grundke. Zudem bleibe die Unsicherheit für die Unternehmen und Haushalte hinsichtlich der Finanzierung von geplanten Subventionen und Infrastrukturprojekten hoch. „Dies dämpft die Investitionstätigkeit der Unternehmen und hält den Konsum der Haushalte trotz gestiegener Reallöhne zurück.“
Der Bundesregierung rät die OECD daher, die Finanzierung der geplanten Projekte im Klima- und Transformationsfonds über 2024 hinaus zu klären, um Planungssicherheit zu schaffen. Durch die Streichung umweltschädlicher und anderer verzerrender Steuervergünstigungen - etwa Dienstwagenprivileg, Dieselsubvention sowie Erbschaftsteuerausnahmen - könne der fiskalische Spielraum erhöht werden.
Deutschland-Experte empfiehlt Reformen und Bürokratieabbau
Auch ein verbesserter Steuervollzug und eine schnellere Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung könnten helfen. „Dies sollte mit einer Reform der Schuldenbremse verbunden werden, welche den Spielraum für Nettoinvestitionen erhöht“, sagte Grundke. Die in Paris ansässige OECD empfiehlt zudem einen Bürokratieabbau. „Geringere Steuern und Sozialabgaben für untere und mittlere Einkommen sollten durch eine Streichung von verzerrenden und regressiven Steuervergünstigungen, einen effektiveren Steuervollzug und Ausgabensenkungen in anderen Bereichen finanziert werden“, sagte Grundke.
Zudem arbeite die Hälfte aller Frauen Teilzeit in Stellen, für die sie überqualifiziert seien. Die Anreize für das Arbeitsangebot von Frauen im Steuer- und Sozialleistungssystem sollten verbessert werden - etwa durch die Reform des Ehegattensplitting.
Neue Impulse erwartet die OECD von Zinssenkungen durch die Europäische Zentralbank (EZB). „Eine Senkung der Zinssätze wird sich positiv auf die privaten Investitionen auswirken“, sagte Grundke. Allerdings bräuchten Unternehmen und Haushalte zunächst Planungssicherheit. „Zinssenkungen bei gleichzeitig anhaltender Unsicherheit werden die private Investitionstätigkeit nicht besonders stark erhöhen“, sagte der OECD-Experte.