von Zavier Wingham
Im Jahr 2001 verstarb im Alter von nur 58 Jahren der im Dorf Sazoba, Bezirk Akhisar, geborene türkische Spitzensportler Mustafa Yıldız. Er gewann zweimal das Öl-Ringkampf-Turnier Kırkpınar, das nahe Edirne ausgetragen wird und dessen Tradition bereits auf das Jahr 1346 zurückreicht. Doch nicht nur als Sportler in Kırkpınar – einer der ältesten Disziplinen auf dem Gebiet der heutigen Türkei – hat Yıldız eine bedeutende Rolle gespielt. Er war auch eine Persönlichkeit, die durch seine Popularität vor allem für junge Türken afrikanischer Herkunft als Vorbild galt.
Die Zahl der Türken mit afrikanischen Wurzeln wird auf zwischen 5000 und 20.000 geschätzt, die meisten von ihnen leben in den Provinzen an der Westküste. Ihre Vorfahren waren ab Beginn des frühen 16. Jahrhunderts in das Gebiet der heutigen Türkei gekommen. Damals hatte das Osmanische Reich sich über Ägypten hinaus bis in die Region des Tschadsees ausgedehnt.
Neue Heimat an der türkischen Ägäisküste
Ähnlich wie in westlichen Ländern dauerte es auch im Osmanischen Reich bis ins 19. Jahrhundert, ehe der Sklavenhandel, der bereits vor der Eroberung durch die Hohe Pforte (Bâb-ı âli) in den afrikanischen Territorien bestanden hatte, abgeschafft wurde. Zuvor sollen es laut dem Historiker Ehud Toledano zwischen 16.000 und 18.000 Menschen gewesen sein, die auf diesem Wege nach Kriegen oder infolge der Suche nach Arbeitskräften aus Afrika in das Gebiet der heutigen Türkei gebracht wurden.
Die meisten von ihnen waren Frauen und Mädchen, die als Hausangestellte arbeiteten. Auch aus den Regionen am Roten Meer, aus Nordafrika, der Golfregion und den Gebieten der Tscherkessen und Georgier kamen Sklaven auf das Gebiet der heutigen Türkei. Mitte des 19. Jahrhunderts begann auch die Hohe Pforte, systematische Anstrengungen zur Beendigung des Imports und Handels von Sklaven im eigenen Herrschaftsgebiet in Angriff zu nehmen.
Betroffenen Afrikanern wollte man in der Umgebung von Izmir eine neue Heimat ermöglichen. Dies ist der wesentliche Grund dafür, warum auch heute noch Afrotürken vorwiegend an der Ägäisküste leben. Mit hoher Wahrscheinlichkeit war auch die Familie von Mustafa Yıldız entweder infolge dieses Siedlungsprogramms oder später im Zuge der Vereinbarung zum Bevölkerungsaustausch zwischen der Türkei und Griechenland im Jahr 1923 an die türkische Westküste gekommen.
Lebenslanger Sperre und lebensgefährlichem Unfall entkommen
Mustafa Yıldız begann schon früh damit, sich für den Ringkampf zu interessieren. Mit 19 Jahren nahm er erstmals am Kırkpınar-Festival teil und konnte den Nachwuchswettbewerb „Deste Orta“ für sich entscheiden. Der unter dem Beinamen „Arabischer Mustafa“ bekannt gewordene Yıldız schaffte es 1967 erstmals auch in den Wettkampf um den begehrten Titel des „Başpehlivan“, also des offiziellen Champions.
Nachdem er in seinem ersten Jahr zum Publikumsliebling gewählt worden war, vollzog er 1970 das, was im modernen US-Wrestling gemeinhin als „Heel Turn“ bezeichnet würde: Nachdem die Schiedsrichter nach dem Match gegen den Vorjahressieger Nazmi Uzun diesem den Sieg zugesprochen hatten, stürmte Yıldız zur Box und beschwerte sich auf aggressive und übergriffige Weise über die Entscheidung. Daraufhin wurde er wegen „Unsportlichkeit“ auf Lebenszeit von der Teilnahme an Kırkpınar ausgeschlossen.
Zwei Jahre später wurde die Entscheidung jedoch aufgehoben – und prompt siegte Yıldız im Finalkampf gegen den favorisierten Turgut Kılıç und wurde so zum ersten afrotürkischen Başpehlivan.
Schiedsrichterschreck wird selbst zum Schiedsrichter
Im Jahr 1975 verlor Yıldız um ein Haar bei einem Unfall sein Leben. Für fast drei Jahre war an eine Rückkehr in den Sport nicht mehr zu denken. Im Jahr 1981 war die Kämpfernatur jedoch wieder zurück und konnte in einem Match, das aufgrund von schlechten Witterungsverhältnissen über zwei Tage erstreckt werden musste, den viermaligen Champion Aydın Demir besiegen. Damit wurde er zum zweiten Mal Başpehlivan.
Im Jahr 1985 beendete Mustafa Yıldız seine Karriere. Der ehemalige Schiedsrichterschreck blieb daraufhin seinem Sport in der Funktion eines Schiedsrichters verbunden. Vor seinem Tod im Jahr 2001 hinterließ der Ringer noch eine Botschaft an seine Fangemeinde und an die Jugend seines Landes: „Das Leben ist voller Überraschungen. Man weiß nicht, wozu sich ein Mensch entwickelt. Ich bin drei Jahr später, nachdem ich dem Tod von der Schippe gesprungen war, der Başpehlivan beim Kırkpınar geworden.“