Die Organisationen des im Straflager inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny dürfen nach Angaben seines Teams und seiner Anwälte nicht mehr arbeiten. Ein Gericht in Moskau habe das Arbeitsverbot verfügt, teilte der Nawalny-Anwalt Iwan Pawlow, der die Organisationen vertritt, am Montag in Moskau mit. Das Verbot gelte, bis über einen Antrag der Moskauer Staatsanwaltschaft entschieden werde, die Organisationen als extremistisch einzustufen, um sie dauerhaft zu verbieten. Der Anwalt Wladimir Woronin kritisierte, das Gericht habe entschieden, ohne die Seiten anzuhören.
Die Bundesregierung verurteilte das Vorgehen der russischen Justiz. „Mit Mitteln der Terrorbekämpfung gegen politisch unliebsame Meinungen vorzugehen, das ist mit rechtsstaatlichen Prinzipien in keiner Weise vereinbar“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin. Er bekräftigte die Forderung nach einer Freilassung des Oppositionellen Nawalny, der auch adäquate medizinische Betreuung und Zugang zu Ärzten seines Vertrauens bekommen müsse.
Vor dem Moskauer Stadtgericht begann am Montag ein Prozess über einen Antrag der Moskauer Staatsanwaltschaft, Nawalnys Organisationen, darunter auch dessen Anti-Korruptions-Stiftung (FBK) und seine Regionalstäbe, als extremistisch einzustufen und damit verbieten zu lassen. Nawalnys Vertrauter Leonid Wolkow erklärte, dass das Gericht einzelne FBK-Tätigkeiten lahmgelegt habe. Verboten sei die Stiftung selbst aber noch nicht. Er beklagte, die Justiz verhindere so den Kampf gegen Korruption, die friedlichen Straßenproteste und die Vorbereitung auf die Parlamentswahl im Herbst.
Eine Gerichtssprecherin betonte, dass in der Sache der Extremismus-Vorwürfe noch nichts entschieden sei. Nach Angaben von Nawalnys Team hatte zuvor die Staatsanwaltschaft schon willkürlich und ohne Gerichtsentscheidung die Regionalstäbe Nawalnys mit einem Arbeitsverbot belegt. Richter Wjatscheslaw Polyga habe das bestätigt, sagte Anwalt Pawlow.
„Das ist eine sehr, sehr schlechte Nachricht für alle in Russland“, sagte Wolkow. In einem „schandvollen Geheimprozess“ und mit Justizwillkür werde die Arbeit der Opposition kriminalisiert. „Es gibt keinen Extremismus“, sagte er.
Staatsanwaltschaft: Nawalnys Bewegung will Revolution
Die Staatsanwaltschaft hingegen teilte mit, Nawalnys Bewegung „destabilisiert die gesellschaftlich-politische Lage im Land“. Sie rufe auf zur „extremistischen Tätigkeit, zu Massenunruhen - auch mit Versuchen, Minderjährige in gesetzeswidrige Handlungen zu verwickeln“. Beschuldigt werden die Organisationen, sie handelten „im Auftrag verschiedener ausländischer Zentren, die destruktive Handlungen gegen Russland ausführen“. Das angebliche Ziel: eine Revolution, um den Machtapparat von Präsident Wladimir Putin zu stürzen.
Nach Darstellung von Wolkow soll die Oppositionsarbeit ungeachtet des Drucks weitergehen. Es werde ein „Handlungsplan“ erarbeitet und demnächst vorgestellt. Zuvor hatte er gesagt, die Behörden würden die Konten einfrieren, die Räumlichkeiten versiegeln „und unsere Offline-Arbeit in Russland insgesamt unmöglich machen“.
Aus dem Ausland können führende Köpfe der Bewegung wie Wolkow, Schadnow und Maria Pewtschich (Pevchikh) weiter arbeiten und die populären Videos mit Enthüllungen von Korruption im russischen Machtapparat im Internet veröffentlichen. Von dort gibt es auch weiter Aufrufe an die russische Bevölkerung nicht nur zu Protesten. Vor allem sind die Bürger aufgerufen, bei der Duma-Wahl im Herbst für alternative Kandidaten zu stimmen - nur nicht für jenen der Kremlpartei Geeintes Russland.
Das „schlaue Abstimmen“ soll das Machtmonopol der Kremlpartei brechen. Dabei hatte das Nawalnys Team in der Vergangenheit bei Wahlen Erfolg, indem Empfehlungen abgegeben wurden, wer gewählt werden sollte, um den Kremlkandidaten zu verhindern. Die Methode ist aber umstritten, weil damit etwa auch Kommunisten oder Rechtspopulisten unterstützt werden könnten.
Zudem solle auch der Kampf um die Freilassung Nawalnys weitergehen, sagte Wolkow. Er bezeichnete es als Erfolg des politischen Drucks, dass Nawalny nun in Haft von zivilen Ärzten untersucht worden sei. Zudem hätten Ärzte seines Vertrauens Zugang zu den medizinischen Untersuchungsergebnissen erhalten. Damit habe sich der Kreml auf eine „seltsame Form eines öffentlichen Kompromisses» eingelassen. „Ich denke, das ist ein gutes Ergebnis.“
Nawalny hatte danach angekündigt, seinen drei Wochen dauernden Hungerstreik zu beenden. Begonnen hatte er ihn, um eine Behandlung durch unabhängige Spezialisten wegen eines Rückenleidens und Lähmungserscheinungen in den Gliedmaßen zu erreichen. Die Forderung bestehe aber weiter, hieß es. Nach Darstellung Wolkows ist Nawalny nach letzten Erkenntnissen auf einer Krankenstation im Straflager IK-3 in Wladimir unweit von Moskau untergebracht. Nawalny hat sich für die internationale Solidarität bedankt.
26 Apr. 2021
dpa
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