Nach Ansicht des türkischen Außenministers Hakan Fidan darf die Abdeckung der Grundbedürfnisse der syrischen Bevölkerung nicht weiter aufgeschoben werden. Das betonte der Chefdiplomat in einem Interview mit dem arabischen TV-Sender Al-Jazeera. Es sei jetzt wichtig, die Rückkehr der Flüchtlinge, den institutionellen Wiederaufbau im Nachbarland und die Wiederherstellung öffentlicher Dienstleistungen voranzutreiben.
„Die Grundversorgung - Gesundheit, Transport, Nahrung, Bildung, Kommunikation - sollte den Menschen zur Verfügung gestellt werden, damit sie wieder ein normales Leben führen können“, sagte Fidan in dem am Mittwoch ausgestrahlten Interview.
In Bezug auf die Zukunft Syriens betonte er die Unterstützung Ankaras für eine geeinte und inklusive Opposition zur Stabilisierung des Landes. „Wir bemühen uns konstruktiv darum, dass alle Oppositionsgruppen zusammenkommen und eine einheitliche Regierung bilden“, sagte er. Die Verhinderung der Massenmigration und die Bekämpfung von Terrorismus gehörten zu den Hauptzielen von Türkiye bezüglich Syrien.
Keine „Übernahme“ Syriens durch Türkiye
Fidan wies zudem die Äußerungen des designierten US-Präsidenten Donald Trump zurück, in denen der Republikaner den Sturz des Machthabers Baschar al-Assad in Syrien als „feindliche Übernahme“ durch Türkiye bewertete. „Wir würden es nicht Übernahme nennen“, sagte der türkische Außenminister zu Al-Jazeera. Die Geschehnisse in Syrien so darzustellen, wäre ein „schwerer Fehler“, warnte er.
„Für das syrische Volk ist es keine Übernahme“, fuhr Fidan fort. „Ich denke, wenn es sich überhaupt um eine Übernahme handeln sollte, dann ist es der Wille des syrischen Volkes, der nun Überhand gewinnt.“
Die Rebellengruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS) hatte am 8. Dezember die Hauptstadt Damaskus befreit und die jahrzehntelange Herrschaft des Assad-Regimes in Syrien beendet. Der gestürzte Präsident Baschar al-Assad, dem Entführung, Folter und Ermordung von Andersdenkenden vorgeworfen wird, floh nach Russland.
Seit Beginn der Massenproteste gegen das brutale Assad-Regime im Jahr 2011 gilt Türkiye als wesentlicher Unterstützer der Opposition. Mehr als drei Millionen Syrer flohen infolge des syrischen Bürgerkriegs ins Nachbarland Türkiye, wo sie noch heute Schutz finden.
Fidan kritisierte die Darstellung, Türkiye sei diejenige Macht, die nun in Syrien regiere. „Ich denke, das wäre das Letzte, was wir wollen. Denn wir ziehen enorme Lehren aus dem, was in unserer Region passiert ist, weil die Kultur der Vorherrschaft unsere Region zerstört hat“, sagte er gegenüber dem arabischen Sender. Es gehe stattdessen um „unsere Solidarität mit dem syrischen Volk“.
Lage im Nordosten Syriens noch angespannt
Auf eine Frage zur Lage im Nordosten Syriens antwortete Fidan, dass die Terrororganisation YPG versuche, sich dem Westen gegenüber als eine Gruppe darzustellen, die gegen DAESH kämpfe.
Im Nordosten Syriens wird eine größere Eskalation zwischen den von den USA unterstützten Demokratischen Kräften Syriens (SDF) und den von Türkiye unterstützten Gruppen befürchtet. Die zu den SDF gehörende YPG ist der syrische Ableger der Terrororganisation PKK, die seit mehr als 40 Jahren Anschläge in Türkiye verübt.
„Die YPG ist eine Organisation, die ihre Reihen mit ausländischen terroristischen Kämpfern aus Türkiye, dem Iran, dem Irak und europäischen Ländern gefüllt hat. Leider ignorieren unsere westlichen Freunde die Tatsache, dass die YPG im Wesentlichen ein verlängerter Arm der PKK ist“, sagte Fidan. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Ash Carter habe im Jahr 2016 im US-Kongress eingestanden, dass es eine Verbindung zwischen der YPG und der PKK gibt, unterstrich der türkische Außenminister.