Nach der Kritik an der neuen anonymen Meldeplattform zur Ermittlung von Steuerbetrügern in Baden-Württemberg wird auch über ein mögliches ähnliches Modell auf Bundesebene gestritten. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock lobt das Angebot und kann es sich auch bundesweit vorstellen. Politiker aus SPD und FDP sind dagegen. „Wir müssen Orte schaffen, wo auch gemeldet werden kann, wenn man weiß, dass es zu heftigem Steuerbetrug kommt“, sagte die Grünen-Kanzlerkandidatin am Mittwochabend bei der „Bundestagswahl-Show“ im Fernsehsender ProSieben. Das werde nun in Baden-Württemberg gemacht und wäre eigentlich „auch Aufgabe eines Bundesfinanzministers gewesen“, sagte Baerbock. „Die nächste Bundesregierung sollte das auch einführen.“
Förderung von Denunziation im Internet?
Union und AfD werfen dem baden-württembergischen Landesfinanzminister Danyal Bayaz (Grüne) dagegen vor, mit dem „Steuerpranger“ im Internet Denunziation zu fördern. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lothar Binding, hieb nun in die gleiche Kerbe: „Das fördert eine Kultur des Misstrauens, der Missgunst, Unterstellung und Denunziation“ und dürfe sich „in unsere Gesellschaft nicht einschleichen“, sagte er dem Fernsehsender Bild.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz äußerte sich dort zurückhaltender: Es sei „wichtig, dass wir alle fair unsere Steuern zahlen, und ich gehe davon aus, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger das auch tun“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat. Ansonsten gebe es dazu seit langem „sehr ordentliche Praktiken“, dann seien es „die Finanzbeamten, die ihre Arbeit leisten müssen“.
FDP: Brauchen keine „staatliche Aufforderung zu Denunziantentum unter Nachbarn“
Rund drei Wochen vor der Bundestagswahl wies FDP-Parteichef Christian Lindner die Forderung Baerbocks ebenfalls zurück. Zwar sei die Digitalisierung der Finanzverwaltungen überfällig. Aber: „Was wir nicht brauchen, ist eine staatliche Aufforderung zu Denunziantentum unter Nachbarn“, sagte Lindner den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Die Forderung, die jetzt die Grünen erheben, offenbart Misstrauen in die Bürger, nicht Vertrauen.“ Bayaz war bereits am Mittwoch heftig für die Einführung des bislang bundesweit einmaligen Hinweisportals kritisiert worden. Heftig attackiert wurde er nicht nur auf der politischen Bühne, sondern auch in den sozialen Medien von Rassisten und Hetzern. Die übelsten Beleidigungen werde der Minister zur Anzeige bringen, teilte das Finanzministerium in Stuttgart mit. Auf seinen Konten bei Twitter und Instagram gab es zahlreiche menschenverachtende, rassistische und sexistische Kommentare. Auch auf dem neuen Portal des Finanzministeriums für Hinweise auf Steuerhinterziehung gingen Mails mit heftigen Beleidigungen ein. „Heute neu gelernt: Law & Order, aber bitte nicht bei Steuern“, twitterte Bayaz dazu am späten Abend.
Hinweisportal ein „ergänzendes Instrument “
Der Landesfinanzminister hat die Kritik zurückgewiesen und auf die seit vielen Jahren gängige Praxis aller deutschen Finanzämter hingewiesen. Das neue anonyme Hinweisportal sei ein „ergänzendes Instrument im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit“. Schon bisher seien anonyme Anzeigen möglich, per Brief oder Telefon, das sei in anderen Bundesländern nicht anders. „Im Jahr 2021 sollte das aber auch online gehen, deshalb das Onlinesystem“, erklärte Bayaz bereits am Mittwoch.
Bis Ende des Jahres müsse Deutschland zudem eine EU-Richtlinie zum Schutz von sogenannten Whistleblowern umsetzen, teilte das Finanzministerium am Donnerstag zum rechtlichen Hintergrund mit. Danach müssen Bundes- und Landesbehörden eine sichere Meldestelle für Insider anbieten, die Missstände oder kriminelle Machenschaften aufdecken oder weiterleiten.