Der FDP-Politiker Thomas Kemmerich (dpa)
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Die Wahl des Thüringer Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen hat bundesweit eine Welle von Empörung bis hin zu Anfeindungen ausgelöst. Am heftigsten traf es wahrscheinlich die Familie von Kemmerich, der am Samstag zurücktrat und jetzt nur noch geschäftsführend im Amt ist. Kemmerichs Kinder seien wegen Anfeindungen in der vergangenen Woche unter Polizeischutz zur Schule gebracht worden, seine Frau sei auf offener Straße angespuckt worden, sagte ein Sprecher der Thüringer FDP in Erfurt am Montag.

FDP-Politikern wurde der Händedruck verweigert, ihre Veranstaltungen so massiv gestört, dass die Polizei anrücken musste, Plakate beschädigt oder es gingen Drohungen und Beschimpfungen über die sozialen Netzwerke ein. Vorfälle gab es unter anderem in Berlin, Leipzig, Hannover, Halle, Hamburg und Stuttgart. Aber auch Wahlkreisbüros der Linken sowie von AfD oder SPD wurden mit teils derben Sprüchen besprüht, ergab eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur am Montag in den Bundesländern.

In einem Supermarkt sei eine Art Fahndungsfoto des 54-Jährigen ausgehängt worden. Zudem habe es mehrfach Menschenansammlungen vor seinem Wohnhaus gegeben. Vertreter der FDP waren nach Angaben der Bundespartei nach der Wahl von Kemmerich bundesweit Anfeindungen ausgesetzt, berichtete der „Tagesspiegel“ am Montag.

Thüringens Linke-Landtagspräsidentin Birgit Keller mahnte zur Mäßigung: „Bei all den vielen Emotionen dürfen wir nicht den Anstand und den Respekt voreinander verlieren“, erklärte sie. Beschimpfungen oder gar tätliche Übergriffe seien völlig inakzeptabel. „Ich verurteile sie auf das Schärfste, ganz gleich von wem und gegen wen sie ausgehen.“

Kemmerich war am vergangenen Mittwoch im Landtag in Erfurt zum Ministerpräsidenten gewählt worden - auch von der AfD, deren Landtagsfraktion Partei-Rechtsaußen Björn Höcke leitet. Er wurde massiv kritisiert, weil er die Wahl, die er ohne die Stimmen der AfD nicht gewonnen hätte, annahm.

Trauerkranz vor FDP-Büro aufgefunden

Die Anfeindungen gegen FDP-Politiker seien in Einzelfällen so weit gegangen, dass ihnen nicht mehr die Hand gegeben wurde, sagte der Parteisprecher. „Bei aller Kritik, die in der Demokratie notwendig ist, ist das nicht die Form, wie sie sich ausdrücken sollte.“ In Hannover fand eine FDP-Abgeordnete vor ihrem Büro einen Trauerkranz vor. An das Büro der FDP in Göttingen wurde der Begriff „Verräter“ gesprüht.

In Berlin beschmierten Unbekannte die Fassade eines FDP-Bürgerbüros im Stadtteil Prenzlauer Berg. Die Polizei nahm Ermittlungen auf. Mehrere Berliner FDP-Abgeordnete berichteten zudem, sie würden nach den Vorgängen in Erfurt etwa in sozialen Netzwerken teilweise wüst beschimpft.

In Leipzig und Görlitz wurden Wohnhäuser von FDP-Politikern mit Beschimpfungen beschmiert, in Halle ein Wahlkreisbüro. In Dresden warfen Unbekannte mit blauer Farbe gefüllte Christbaumkugeln an die Geschäftsstelle des FDP-Landesverbandes. „Solche Übergriffe haben mit einem politischen Diskurs und mit Meinungsfreiheit nichts mehr zu tun“, sagte ein Sprecher des FDP-Landesverbandes. In Bayern und Hamburg wurden Wahlplakate der Partei abgerissen oder beschmiert. „Kommunalpolitiker erzählen uns, dass ihnen auf den Plakaten eine Nähe zur AfD unterstellt wird“, sagte ein Sprecher des FDP-Landesverbands.

Der Sprecher des baden-württembergischen FDP-Landesverbands sagte, eine Ortsvorsitzende sei am Telefon als Faschistin beschimpft worden. Außerdem seien linke Protest-Sticker an die Landesgeschäftsstelle geklebt worden.

„Wir erleben gerade eine absolute Eskalation, so etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle der „Welt“. „Lange war die FDP nicht im Fokus von Linksextremisten. Das hat sich seit Mittwoch geändert.“

In Heiligenstadt sowie Hildburghausen in Thüringen berichtete die Polizei von einem Steinwurf und einer Farbsprüherei gegen AfD-Wahlkreisbüros. In Meinigen traf es ein Büro der Linken. In Nordhausen gingen bei der Linken zwei Schreiben mit beleidigendem Inhalt ein, in Jena wurde nahe eines SPD-Wahlkreisbüros eine Fahne angezündet.

dpa