Zur Eröffnung des Dokumentationszentrums der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung hat Bundeskanzlerin Angela Merkel an die Ursachen millionenfach erlittener Schicksale deutscher Vertriebener aus früheren Ostgebieten des Deutschen Reiches erinnert. Gleichzeitig hat sie deutlich gemacht, dass die Geschehnisse nicht losgelöst von ihrer Vorgeschichte verstanden werden könnten.
„Ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus über Europa und die Welt gebrachten Terror, ohne den von Deutschland im Nationalsozialismus begangenen Zivilisationsbruch der Schoah und ohne den von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg wäre es nicht dazu gekommen, dass zum Ende des Zweiten Weltkriegs und danach Millionen Deutsche Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung erleiden mussten“, sagte die CDU-Politikerin am Montag in Berlin.
Mit dem Zentrum werde „eine Lücke in unserer Geschichtsaufarbeitung“ geschlossen. „Über dieses Zentrum wurde lange und intensiv diskutiert in Deutschland, aber auch mit unseren Partnern in Europa“, sagte Merkel, die per Video zu einer Feierstunde zugeschaltet war. Umso mehr freue sie das Kommen der Botschafter Polens, Tschechiens und Ungarns.
Über Jahre hinweg wurde teils erbittert debattiert, wie stark das Schicksal der deutschen Vertriebenen im Mittelpunkt stehen sollte. Vor allem in Polen gab es Befürchtungen, die Deutschen könnten sich selbst zu Opfern machen und von ihrer Schuld in der Nazi-Zeit ablenken.
Merkel: Erinnerung wachhalten
„Um eine gute Zukunft gestalten zu können, müssen wir die Erinnerung an vergangenes Leid wachhalten“, sagte Merkel. Dabei sei es „von entscheidender Bedeutung, dass die Vertreibungsgeschichte der Deutschen in ihrem historischen Kontext von Ursache und Folgen eingebettet und nicht isoliert dargestellt wird“. Das Zentrum sieht sich als Teil einer neuen Erinnerungslandschaft. Erste Besucherinnen und Besucher werden an diesem Mittwoch erwartet.
Nach den Worten von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) stellt sich Deutschland mit dem Zentrum einer „lange zu wenig wahrgenommenen historischen Wahrheit: dem unermesslichen und millionenfachen Leid infolge von Flucht und Vertreibung im und nach dem von Deutschland entfesselten Zweiten Weltkrieg“. Viele Jahre sei um eine angemessene Form des Gedenkens gerungen worden, „teils erbittert gestritten“, sagte Grütters. Für sie ist es Teil der Identität Europas, dass unterschiedliche Erinnerungen an das wechselvolle 20. Jahrhundert um Gehör und Anerkennung ringen.
Empathie für Geflüchtete wecken
Für Gundula Bavendamm, Direktorin des Zentrums, ist es zentrales Anliegen, „die Erfahrungen von zig Millionen Flüchtlingen und Vertriebenen im 20. Jahrhundert, aber eben auch bis heute, greifbar zu machen und ungeachtet ihrer Nationalität Empathie für diese Menschen zu wecken“. Eine solche Darstellung benötige ein tragfähiges und auch unmissverständliches Konzept.
In dem für 63 Millionen Euro sanierten Gebäude nahe dem Potsdamer Platz stehen für ständige Ausstellung, Wechselpräsentationen, Lesesaal und Forschungsbereiche mehr als 5000 Quadratmeter zur Verfügung. In zwei Ausstellungsteilen geht es um eine Geschichte der Zwangsmigration bis heute sowie um Flucht und Vertreibung von Millionen Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dieser Teil ist chronologisch angeordnet, um Nazi-Terror und deutschen Angriffskrieg als Ursache für die anschließende Vertreibung zu markieren.
„Ohne die nationalsozialistischen Vertreibungen und Vernichtungspolitik hätten nicht 14 Millionen Deutsche durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat verloren“, sagte Bavendamm. „Das ändert allerdings gar nichts daran, dass auch ihre Vertreibung durch die Alliierten und die ostmitteleuropäischen Staaten in Folge des Zweiten Weltkrieges ein Unrecht war.“