Im Prozess um den Mordfall Walter Lübcke hat der Hauptangeklagte Stephan Ernst erstmals vor Gericht den tödlichen Schuss auf Kassels Regierungspräsidenten eingeräumt. „In dem Moment sah ich, dass er wieder aufstehen wollte - und da habe ich geschossen“, sagt er in einem Geständnis, das sein Anwalt Mustafa Kaplan am Mittwoch vor dem Oberlandesgericht Frankfurt verlas. Gleichzeitig belastete Ernst den Mitangeklagten Markus H., der ebenfalls am Tatort gewesen sei und eine entscheidende Rolle gespielt habe.
Der Kasseler Regierungspräsident Lübcke war im Juni 2019 auf der Terrasse seines Wohnhauses im Landkreis Kassel getötet worden. Der Deutsche Ernst muss sich wegen der Tat vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts verantworten. Der Generalbundesanwalt wirft ihm rechtsextremistische Motive vor. Der zweite Angeklagte, Markus H., wird der Beihilfe beschuldigt. Dass H. mit am Tatort war, hatten die Ermittler Ernst in einer früheren Aussage nicht abgenommen.
H. sei in einer schwierigen psychischen Phase von Ernst sein „Mentor“ gewesen, ließ der Hauptangeklagte nun erklären: „Er hat mich radikalisiert und aufgehetzt.“ Demnach war es H., der Lübcke als Ziel ins Spiel brachte. Bei Schießübungen habe H. eine Zielscheibe mit dem Bild von Angela Merkel gehabt und erklärt, dass er auch eine Zielscheibe von Lübcke machen wolle. Im Gegensatz zur Kanzlerin „sei Lübcke jemand, an den man rankommen könnte“. Zudem habe H. den Regierungspräsidenten als „Volksverräter“ bezeichnet.
Nach einer Bürgerversammlung 2015, bei der sich Lübcke für die Aufnahme von Flüchtlingen einsetzte, habe H. erklärt, dass man dem CDU-Politiker einen „Besuch“ abstatten solle. Laut der Erklärung verabredeten sich Ernst und H. 2019 dazu. Ziel sei nicht ausdrücklich gewesen, Lübcke zu töten. Aber: „Der Einsatz der Waffe war auf jeden Fall eine Alternative, die wir in Betracht zogen.“ Als Ernst und H. Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses bedrohten, habe er auf einem Stuhl gesessen. Der Politiker habe aufstehen wollen, da habe Ernst abgedrückt. „Vielleicht habe ich auch nur auf eine solche Reaktion des Herrn Lübcke gewartet, um zu schießen“, ließ Ernst erklären.
Gegenüber der Familie des Getöteten ließ Ernst Bedauern ausdrücken: „Ich weiß, das was ich und Markus H. Ihnen angetan haben, war unentschuldbar und falsch.“ Die Tat sei feige und grausam.
Rückkehr zum ersten Geständnis
Mit der Aussage, dass er selbst der Schütze war, kehrt der Hauptangeklagte zu seinem ersten, widerrufenen Geständnis zurück. Die neue Schilderung enthält aber auch Elemente aus dem zweiten Geständnis, in dem der 46-Jährige die Schussabgabe als Unfall darstellte und H. als Schützen. Als Begründung für die neue Version des Tathergangs verwies Ernst auf seine früheren Rechtsanwälte. Erst habe man ihm geraten, H. aus der Tat herauszuhalten, später dann ihn zu beschuldigen.
Auf Nachfrage des Gerichts, wer das zweite Geständnis erfunden habe, nannte Ernst den Namen seines abberufenen Pflichtverteidigers Frank Hannig. Ernst sagte persönlich: „Die Idee war von Herrn Hannig.“ Man habe mit der Aussage, dass H. der Schütze sei, diesen zu einer Aussage bewegen wollen. Hannig war auf Nachfrage zunächst nicht erreichbar.
Außerdem beantwortete der Hauptangeklagte noch Detailfragen des Gerichts zu seinen Besuchen bei Lübckes Haus und dem genauen Tatablauf. Auch in der nächsten Verhandlung am Freitag wird es wieder um Fragen an Ernst gehen - möglicherweise auch durch die Nebenklage und die Verteidigung von H.
Begonnen hatte die Verhandlung mit einem weitere Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Thomas Sagebiel. Björn Clemens, Anwalt von H., begründete diesen mit den kürzlich auf der Internetplattform Youtube veröffentlichten Ausschnitten aus den Vernehmungsvideos von Stephan Ernst. Das in der Verhandlung bereits gezeigte Material war Journalisten zugespielt worden. Clemens warf dem Senat vor, nichts gegen die Veröffentlichung unternommen zu haben. Damit verfestige sich der Eindruck, es solle ein „öffentlicher Pranger“ geschaffen werden. Der Vertreter des Generalbundesanwalts betonte, die Möglichkeiten dagegen vorzugehen, lägen außerhalb der Zuständigkeit des Gerichts.
5 Aug. 2020
dpa
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