Karl Lauterbach ließ sich nicht beirren: „Die Pandemie wird länger dauern, als viele denken“, konstatierte der designierte Gesundheitsminister am Montag bei der Vorstellung der SPD-Mitglieder im Ampel-Kabinett. Seit Beginn der Corona-Krise im vergangenen Jahr schenkt er nach Meinung seiner Anhänger den Menschen reinen Wein ein und polarisiert damit immer wieder. Genau deshalb galt es lange als ungewiss, ob ihn der neue Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in sein Kabinett holen wird.
45 Prozent wünschten sich Lauterbach als Gesundheitsminister
Noch am Sonntagabend saß Lauterbach in der ARD-Talksendung „Anne Will“ - offenbar völlig unbeeindruckt von seiner bevorstehenden Ernennung zum Minister - und machte das, wofür er bekannt geworden ist in der Pandemie: Er zitierte aus Studien - in diesem Fall zur neuen Omikron-Variante. Die Detailversessenheit ist das Markenzeichen des Epidemiologen, der sich mit seiner Dauerpräsenz in den Fernseh-Talkshows zu einem der führenden Corona-Experten im Lande gemausert hat. Dafür ist der 58-Jährige auch in seiner Anhängerschaft bekannt und beliebt, in einer Umfrage wünschten ihn sich 45 Prozent als neuen Gesundheitsminister. Von der Popularität des SPD-Linken zeugt auch sein gutes Wahlkreis-Ergebnis bei der Bundestagswahl. Souverän holte er das Direktmandat in Leverkusen - und schaffte so trotz eines hinteren Listenplatzes den Wiedereinzug in den Bundestag. Doch Beliebtheit allein macht noch keinen Minister: Gerade wegen seines Hangs, sich in wissenschaftlichen Studien zu vergraben, wurde darüber spekuliert, dass Lauterbach bei der Besetzung des Gesundheitsressorts leer ausgehen könnte. Denn Regieren heißt in erster Linie einen Apparat verwalten und - im Falle Lauterbachs - mit der Pandemie umzugehen.
Hass der Corona-Leugner schlägt Lauterbach entgegen
Doch am Ende konnte Scholz, dem kein allzu gutes Verhältnis zu Lauterbach nachgesagt wird, wohl gar nicht anders, als den eigenwilligen Gesundheitsexperten zum Minister zu machen - schließlich wird dem künftigen Regierungschef Zögerlichkeit in der Pandemie vorgeworfen. Doch der wortgewandte Epidemiologe mit dem rheinischem Singsang, dem wegen seiner klaren Ansagen auch der Hass der Corona-Leugner entgegenschlägt, muss sich nun in die Mühen der Ebene begeben. Dort wird er bald seine Grenzen zu spüren bekommen. Denn bei der Pandemiebekämpfung haben vielfach andere das Sagen: Die konkreten Maßnahmen wie 2G-Regeln oder Kontaktbeschränkungen liegen letztlich immer in der Verantwortung der Länder. Und wenn es darum geht, deren Vorgehen bundesweit zu koordinieren, ist vor allem das Kanzleramt gefragt. So wird es zu Lauterbachs Hauptaufgaben gehören, die Impfstoffversorgung zu organisieren - und natürlich ist sein Haus gefragt, wenn es um weitere Veränderungen am Infektionsschutzgesetz geht.
Lauterbachs Karriere als Mediziner und Politiker
Lauterbachs Pandemie-Kompetenz rührt von seiner medizinischen Ausbildung her: Nach dem Medizinstudium promovierte er in Epidemiologie und Gesundheitsökonomie an der Harvard-Universität. 1988 wurde er Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie an der Kölner Universität. 1996 kehrte er als Gastdozent nach Boston zurück. 1999 übernahm er dann verschiedene Funktionen in deutschen Gesundheitsgremien, bevor er 2005 erstmals in den Bundestag einzog.
Das Amt des für die Gesundheit zuständigen SPD-Fraktionsvize gab 2019 Lauterbach ab, um sich gemeinsam mit der Bundestagsabgeordneten Nina Scheer um den SPD-Vorsitz zu bewerben. Beide scheiterten deutlich, danach blickte Lauterbach in eine ungewisse politische Zukunft. Die Corona-Krise, in der er auch Kanzlerin Merkel beraten hat, bescherte ihm dann seine Experten-Karriere.
Zwar wird Lauterbach nach seiner Ernennung nicht mehr mit Dauerpräsenz bei „Anne Will“ und „Markus Lanz“ weitermachen können. Doch er ließ am Montag erkennen, dass er auch im neuen Amt keine unbequemen Botschaften vermeiden wird. So ließ er ausdrücklich offen, wie die Corona-Lage an Weihnachten sein könnte. „Ein wichtiges Ziel muss sein, die Fallzahlen so stark herunterzubringen, dass wir, ohne die Menschen zu gefährden, Reisen empfehlen können.“ Wie er das in den verbleibenden zweieinhalb Wochen bewerkstelligen will, sagte Karl Lauterbach nicht.