Einem neuen Sipri-Bericht zufolge hat Deutschland 2019 seine Militärausgaben so stark erhöht wie kaum ein anderes Land - dafür bekam die Bundesregierung am Montag Gegenwind von Friedensorganisationen und der Opposition im Bundestag.
Die Linke sprach von „beschämenden Zahlen“, die das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri vorlege. Und der Greenpeace-Abrüstungsexperte Alexander Lurz sagte: „Dass Deutschland im Vergleich zum Vorjahr den größten prozentualen Zuwachs der Militärausgaben unter den Top-15-Staaten verzeichnet, ist nichts anderes als eine Schande.“ Gerade vor dem Hintergrund der Corona-Krise, die den Staat Milliardensummen koste, forderten Linke und Grüne einen Kurswechsel in punkto Verteidigungsausgaben.
Wie aus dem Sipri-Bericht hervorgeht, gaben die Staaten der Erde im vergangenen Jahr schätzungsweise 1,917 Billionen Dollar (1,77 Billionen Euro) für das Militär aus. Das entsprach einem weltweiten Zuwachs im Vergleich zum Vorjahr um 3,6 Prozent und einem neuen Höchststand seit Beginn vergleichbarer Sipri-Aufzeichnungen im Jahr 1988.
Den größten prozentualen Anstieg unter den Top-15-Staaten verzeichnete demnach Deutschland: Im Vergleich zu 2018 stiegen die deutschen Militärausgaben laut Sipri um zehn Prozent auf 49,3 Milliarden Dollar. Die Bundesrepublik kletterte in der Sipri-Auflistung damit um zwei Plätze auf Rang sieben hoch. „Dieser ‚Aufstieg‘ ist das falsche Signal in einer Zeit neuer Bedrohungen“, monierte der Bundesvorsitzende der Umweltorganisation Naturfreunde Deutschland, Michael Müller.
„Beschämende Zahlen! Deutschland ist Aufrüstungsweltmeister“, erklärte Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch. Die Ausgaben für das Militär saugten Ressourcen aus Bereichen der Gesellschaft, in denen das Geld dringend notwendig sei. „Wir brauchen erst recht seit der Corona-Krise ein Umdenken und Umsteuern! Abrüstung weltweit ist das Gebot der Stunde.“
Grünen-Politikerin: „Bedrückende Rekordwerte“
Ähnlich sah das die abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Katja Keul. Die Sipri-Zahlen stellten „bedrückende Rekordwerte“ dar, die die Notwendigkeit neuer Abrüstungsinitiativen unterstrichen, teilte Keul mit. Dass Staaten wie etwa Saudi-Arabien unter den Ländern mit den höchsten Ausgaben seien, zeuge von einer besorgniserregenden Entwicklung in Konfliktregionen, für die die Bundesregierung mit ihrer Exportpolitik eine Mitverantwortung trage.
Sipri fand für den jährlich erscheinenden Bericht diesmal relevante Daten aus 150 Ländern. Unter ihnen blieben die USA weiter das Maß aller Dinge in Sachen Verteidigungshaushalt: Die Vereinigten Staaten gaben unter Trump 2019 rund 732 Milliarden Dollar und somit 5,3 Prozent mehr für das Militär aus als noch 2018. Sie kommen damit auf einen weltweiten Anteil von satten 38 Prozent - verglichen mit 2,6 Prozent Deutschlands.
Die Friedensforscher machten in ihrem Bericht darauf aufmerksam, dass ihre Schätzungen für Deutschland um 3,3 Milliarden Dollar unter denen lägen, die das Land für 2019 als „Verteidigungsausgaben“ bei der Nato angegeben habe. Das lasse sich damit begründen, dass Berlin in diesen Ausgaben unter anderem auch nichtmilitärische Aufwände etwa für bestimmte humanitäre Aufgaben und Entwicklungshilfe berücksichtigt habe, die bei Sipri nicht zu den Militärausgaben gerechnet werden.
Das Nato-Ziel zur Erhöhung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts verfehlte Deutschland nach Sipri-Angaben - ebenso wie mehrere andere Nato-Staaten - jedoch weiter klar: Die Bundesrepublik kam demnach auf 1,3 Prozent, europaweit betrug dieser Wert durchschnittlich 1,7 Prozent. Weltweit lag er - vor allem dank der 3,4 Prozent der USA - bei 2,2 Prozent.
Aufgrund der ökonomischen Folgen der Corona-Krise und der Erfahrungen aus den Jahren nach der Finanzkrise 2008 und 2009 geht Sipri davon aus, dass vorerst ein Höchststand bei den weltweiten Militärausgaben erreicht ist. Der mit der Pandemie verknüpfte wirtschaftliche Abschwung werde einen großen Einfluss auf die Budgets der Regierungen und all ihre Ausgaben im Jahr 2020 haben, sagte Sipri-Forscher Nan Tian. Die Länder müssten dabei unter anderem abwägen, ob sie ihre Mittel lieber ins Militär oder in Gesundheitswesen, Bildung oder Infrastruktur stecken wollten.
Greenpeace-Experte Lurz forderte von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), ihr Budget zu kürzen und das Geld lieber für einen grünen Wiederaufbau der Wirtschaft sowie Soziales und Gesundheit freizugeben. „Die fetten Jahre für die Waffenindustrie müssen endlich vorbei sein“, erklärte er.