24.08.2021, Berlin: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht im Bundeskanzleramt bei einer Videokonferenz anlässlich der Beratungen der G7 zur Lage in Afghanistan. Die Staats- und Regierungschefs der führenden westlichen Industrienationen haben sich am Dienstagnachmittag per Videoschalte zu Gesprächen über die Lage in Afghanistan getroffen. (dpa)
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Parallel zu Beratungen der G7-Staats- und Regierungschefs über eine Verlängerung ihrer Evakuierungsmission in Afghanistan haben die Taliban den Druck auf die westliche Militärallianz erhöht. Einer Fortsetzung der Mission über die Frist am 31. August hinaus werde man nicht zustimmen, sagte Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid in einer Pressekonferenz am Dienstag. Bereits am Montag hatte ein Vertreter der Milizen diesen Termin als „rote Linie“ bezeichnet.

„Wir wollen, dass alle Ausländer bis zum 31. August evakuiert werden“, bekräftigte der Sprecher am Dienstag. Er wandte sich zugleich dagegen, dass nun viele gebildete Afghanen das Land verließen. Man brauche diese, um Afghanistan wieder aufzubauen. Eine Entscheidung der G7-Staatenlenker über eine Fortsetzung der Evakuierungsmission im September stand zu diesem Zeitpunkt noch aus.

Biden schloss Verlängerung der Evakuierungsmission ebenfalls aus

Eigentlich sollen Ende des Monats alle ausländischen Truppen Afghanistan verlassen haben. Doch die sich überschlagenden Ereignisse mit der raschen Machtübernahme der militanten Taliban und Chaos am Flughafen führten dazu, dass noch immer viele tausende Menschen auf eine Evakuierung warten. Viele müssten zurückgelassen werden, so die Befürchtung, wollte man den bisherigen Zeitplan einhalten.

US-Präsident Joe Biden hatte zuletzt nicht ausgeschlossen, dass die Mission verlängert werden könnte. Er äußerte jedoch die Hoffnung, dass dies nicht notwendig sein werde. Die europäischen Verbündeten in London, Paris und Berlin hingegen dringen hingegen auf eine Verlängerung.

UN zeigt sich über Berichte von Menschenrechtsverletzungen beunruhigt

Die Vereinten Nationen zeigten sich unterdessen beunruhigt über Berichte von Menschenrechtsverletzungen nach der Machtübernahme der Taliban. Darunter seien Massenhinrichtungen von Zivilisten und Angehörigen regierungstreuer Sicherheitskräfte, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, am Dienstag in Genf.

Bachelet sprach bei einer Sondersitzung des UN-Menschenrechtsrats in Genf zur Lage in Afghanistan von „gravierenden Risiken für Frauen, Journalisten und die neue Generation von Leitfiguren der Zivilgesellschaft“. Der Bewegungsspielraum von Frauen sei in manchen Regionen nach Machtübernahme der militanten Aufständischen eingeschränkt worden, Mädchen dürften teils nicht mehr zur Schule gehen. Friedliche Proteste würden unterdrückt und Minderjährige zum Waffendienst geholt. Die Berichte seien glaubhaft, betonte Bachelet.

Mitarbeiter der Vereinten Nationen sowie von UN-Hilfsorganisationen wollen die Taliban offenbar im Land behalten. „Sie haben klar gemacht, dass die UN bleiben sollen“, sagte Richard Brennan, Regionaldirektor für Nothilfe bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in Kairo. „Es gab einige ermutigende Zeichen und Gespräche.“ Über den Verbleib der UN-Mitarbeiter liefen derzeit Verhandlungen zwischen Taliban und UN.

Angst bei der Bundeswehr vor Terroranschlägen wächst

Unterdessen wächst auch bei der Bundeswehr die Angst vor Anschlägen durch Daesh-Terroristen. Man habe Signale aus amerikanischen Quellen, aber auch eigene Erkenntnisse, dass zunehmend potenzielle Selbstmordattentäter der Terrororganisation Daesh „in die Stadt einsickern“, sagte Generalinspekteur Eberhard Zorn in Berlin. Man habe von den Amerikanern bereits in der vergangenen Woche Hinweise darauf bekommen. „Das nimmt jetzt zu.“

Der Direktor des US-Auslandsgeheimdienstes CIA, William Burns, traf einem Medienbericht zufolge den Vizechef der Taliban, Mullah Abdul Ghani Baradar, zu einem persönlichen Gespräch am Montag in Kabul, wie die „Washington Post“ unter Berufung auf Regierungskreise schrieb. Baradar wird als möglicher künftiger Regierungschef gehandelt.

Das Patenschaftsnetzwerk für afghanische Ortskräfte der Bundeswehr warf der Bundesregierung „unterlassene Hilfeleistung“ im Umgang mit ehemaligen Mitarbeitern in dem Krisenstaat vor. Man sei über den Umgang mit diesen Menschen erbittert in einem Maße, „dass wir es nicht in Worte fassen können“, sagte der Vorsitzende Marcus Grotian in Berlin. Die Schuld gab er vor allem dem Bundeskanzleramt, wo man Interessen der Ministerien hätte zusammenzubringen können.

„Ich traue den Zusicherungen der Taliban nicht“

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sieht die afghanischen Mitarbeiter von Entwicklungsorganisationen nach der Machtübernahme der Taliban in großer Gefahr. „Ich traue den Zusicherungen der Taliban nicht, es wird bereits jetzt verfolgt und gemordet“, sagte der CSU-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“.

In der Diskussion über die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge forderte der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber, feste Kontingente für die einzelnen EU-Staaten. Zugleich müssten die Menschen, die nach Europa kommen, auch überprüft werden, sagte der CSU-Politiker im Bayerischen Rundfunk. „Eine große Flüchtlingswelle, wie wir sie 2015 erlebt haben, darf es in der Form nicht wieder geben.“ Damals waren hunderttausende Migranten, darunter viele Syrer, weitgehend unkontrolliert nach Deutschland eingereist.

dpa