FDP veröffentlicht „D-Day“-Papier - Ex-Ampel-Partner empört / Photo: DPA (dpa)
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Die Veröffentlichung eines detaillierten Papiers der FDP zum Ausstieg aus der Ampel-Regierung sorgt bei den Ex-Koalitionspartnern für Empörung. SPD-Generalsekretär Matthias Miersch warf der FDP-Führung vor, die Öffentlichkeit wiederholt getäuscht zu haben und forderte eine Entschuldigung von Parteichef Christian Lindner.

Miersch kritisierte es gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) als „zynisch“, dass die FDP in dem Papier für den Zeitpunkt des Ampel-Bruchs in ihrem Papier das Wort „D-Day“ benutzt und den nachfolgenden Wahlkampf als „offene Feldschlacht“ bezeichnet. „Die FDP-Führung hat die Verwendung dieser Begriffe stets bestritten“, betonte er.

FDP schreibt von „D-Day“ und „Feldschlacht“

In dem Papier taucht die Formulierung D-Day mehrfach auf. In einem Interview bei RTL/ntv hatte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte betont: „Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden.“

Aus dem Englischen kann D-Day mit „Tag X“ übersetzt werden - oder auch „Tag der Entscheidung“ meinen. Im Deutschen wird der englische Begriff aber vor allem im Zusammenhang mit der Landung der Alliierten in der Normandie zur Befreiung Europas vom Nationalsozialismus benutzt. Der D-Day am 6. Juni 1944 markierte dafür den Auftakt. Er steht aber auch für ein unmenschliches Blutvergießen, Zehntausende Tote und Verwundete. Zur Streitmacht der Alliierten gehörten damals vor allem US-Amerikaner, Briten, Kanadier, Polen und Franzosen.

Djir-Sarai bemühte sich in der „Welt“ nach der Veröffentlichung des Papiers um Schadensbegrenzung: „Das Papier ist auf Ebene der Mitarbeiter entstanden. Niemand aus der Führung der FDP kannte das Papier.“ Einen Grund zurückzutreten, sehe er nicht.

FDP hat „nichts zu verbergen“

Auf X schrieb die FDP zuvor: „Wir haben nichts zu verbergen.“ In einer dazu veröffentlichten Erklärung von Djir-Sarai hieß es: „Wir haben niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass ohne eine Wirtschaftswende ein Ende der Ampel ein möglicher Ausgang des von uns sogenannten Herbstes der Entscheidungen sein könnte.“ Er sprach von einer Skandalisierung der Vorbereitung auf Szenarien. „Wenn die gesamte deutsche Medienlandschaft zu diesem Zeitpunkt bereits über das Ende der Ampel spekulierte, dann ist es nur professionell, sich auf diese Option einzustellen.“

SPD-Chef Lars Klingbeil schrieb auf der Plattform X: „Es ist gut, dass langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein Bild machen können.“ Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann übte ebenfalls auf X Kritik: „Ein Parlament ist kein Schlachtfeld, und das Ringen um die besten Ideen und Konzepte gehört zu unserer lebendigen Demokratie. Diese FDP sollte keine Verantwortung für unser Land übernehmen.“

Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) äußerte sich knapp: „Mein Amtseid lautete, meine Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen - und nicht dem Wohle einer Partei.“

Die FDP hat ihr Papier zu möglichen Ausstiegsszenarien aus der Ampel-Koalition selbst veröffentlicht, nachdem das Nachrichtenportal „Table.Briefings“ darüber berichtet hatte. Das achtseitige Dokument - offensichtlich eine Powerpoint-Präsentation - ist überschrieben mit „D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen“.

Noch am Abend der Veröffentlichung kamen aus der FDP auch erste selbstkritische Töne: „Jetzt ist ausschließlich Selbstkritik und Aufarbeitung gefragt“, sagte das FDP-Präsidiumsmitglied Marie-Agnes Strack-Zimmermann der Deutschen Presse-Agentur. „Die Wortwahl ist der Sache nicht dienlich, eine Verschriftlichung mit dieser Tonalität nicht nachvollziehbar.“ Dass man sich aber in einer Situation, wie man sie in der Regierung gehabt habe, mit Ausstiegsszenarien auseinandersetze, sei folgerichtig gewesen, nicht nur für die FDP. Bei dem entsprechenden Treffen sei sie aber nicht dabei gewesen.

Nach dem Ampel-Aus hatten bereits erste Berichte Diskussionen über Ursachen und Urheber des Koalitionsbruchs ausgelöst. „Zeit“ und „Süddeutsche Zeitung“ berichteten, dass in mehreren Treffen der engsten FDP-Führung seit Ende September Szenarien für ein Ende der Koalition durchgespielt worden seien - die Rede war von einem „Drehbuch“.

Diskussion über „idealen Zeitpunkt“ zum Koalitionsausstieg

Im nun veröffentlichten Papier ist zum Beispiel davon die Rede, dass der „ideale Zeitpunkt“ und ein „avisierter Ausstieg“ aus der Koalition zur Mitte der 45. Kalenderwoche zwischen dem 4. und 10. November liegen könnte. Am 6. November kam es tatsächlich zum Bruch des Bündnisses - aber indem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses FDP-Chef Lindner als Finanzminister entließ.

Zuvor war im Papier abgewogen worden: Der „avisierte Ausstieg“ zu diesem Zeitpunkt berge Risiken wegen der gleichzeitig stattfindenden US-Präsidentschaftswahl. Um sich davon „etwas zu entkoppeln“, könne ein Ausstieg zu Beginn der 45. Kalenderwoche am 4. November erfolgen. Bei einer Verschiebung nach hinten werden andere Hindernisse angeführt: die Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses, der geplante Grünen-Parteitag und ein eigener Parteitag, der vorbereitet und zu dem eingeladen werden müsste.

Festgehalten wird auch ein „Kernnarrativ“ - also eine Hauptbotschaft, mit der der Ausstieg verknüpft werden könnte. Fundamentale Gegensätze in der Wirtschaftspolitik zwischen Rot-Grün und der FDP seien nicht durch Kompromisse zu überbrücken. Die Bundesregierung sei selbst zum größten Standortrisiko geworden. „Die deutsche Bevölkerung sollte in vorgezogenen Neuwahlen entscheiden, welchen Weg Deutschland zukünftig geht“, heißt es weiter. Auch ein vorbereitetes Statement von Lindner ist bereits enthalten und Szenarien, wann, wo und über welche Kanäle man den Ampel-Bruch am besten verkünden könnte.

FDP spricht von „Arbeitspapier“

Die FDP bezeichnet das Dokument als „Arbeitspapier“, das vom Bundesgeschäftsführer der Partei zum ersten Mal am 24. Oktober erstellt worden sei, veröffentlicht nun in der letzten Version vom 5. November. „Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampel-Koalition“, heißt es.

Vor allem zwischen SPD und FDP tobt bereits ein Kampf um die Deutungshoheit, inwiefern das Zerwürfnis von einer Seite provoziert worden ist. So sprach Lindner von einer „Entlassungsinszenierung“ durch den Kanzler. Scholz ließ erkennen, womöglich hätte er die Entscheidung zur Entlassung Lindners früher treffen müssen.

dpa