Nach dem Feierabend mit Freunden im Café treffen und neben einem Getränk etwas aus dem Cannabis-Menü bestellen. Was wie eine Szene aus Amsterdam anmutet, könnte bald auch in deutschen Städten zur Realität werden. Jedenfalls stehen die Ampeln auf Grün. Gemeint ist nicht nur die Partei unter der Führung von Annalena Baerbock: Auch Linke und FDP fordern neben einer Entkriminalisierung von Cannabis eine weitgehende Legalisierung. Sogar die SPD, die sich in den vergangenen Jahren eher zurückhaltend präsentierte, ist nach Aussage von Kanzlerkandidat Olaf Scholz „offen für Lockerungen“. Das einzige Hindernis stellt dabei die unveränderte Haltung der Union dar, die eine auf Verboten und Repressionen fußende Drogenpolitik propagiert. Damit stellt sie sich in eine Reihe mit der AfD.
Anders als bei der letzten Bundestagswahl ist Cannabis zum Wahlkampfthema geworden. Die Parteien haben teilweise konkrete Pläne in ihren Programmen formuliert, die sich nur in den Details unterscheiden. Bei einer Regierungsbildung unter Ausschluss der CDU geht es daher schon lange nicht mehr um das ob, sondern um das wie. Diese Offensive ist eine Antwort auf die steigende Zustimmung der Bevölkerung für eine zeitgemäßere Drogenpolitik. Als Modell dienen neben EU-Partnerstaaten wie Portugal und Spanien auch Uruguay, Kanada sowie immer mehr US-Bundesstaaten. Laut einer repräsentativen Umfrage des Deutschen Hanfverbandes (DHV) aus dem Jahr 2020 sprechen sich 46 Prozent der befragten Bundesbürger für eine Legalisierung aus.
Die Grünen
Die Legalisierungsbewegung ist ohne die Grünen kaum denkbar. Pioniere wie Hans-Christian Ströbele dienten als mediale Aushängeschilder und manifestierten sich mit ihrem Aktionismus im Bewusstsein einer ganzen Generation. Doch die Konzepte und Forderungen des linken Parteiflügels prallten irgendwann zunehmend am Realo-Parteikern ab. So wurde bei der rot-grünen Regierungskoalition unter Gerhard Schröder das Thema „Reform der Drogenpolitik“ gänzlich ausgeblendet. Es schien so, als wolle man sich bewusst vom einstigen Hippie-Image der Partei lösen: weniger Sturm und Drang, mehr Anpassung.
Nun, rund 20 Jahre später, liegt der grüne Lifestyle im Trend. Hanf, mitunter ein Synonym für Nachhaltigkeit und Natur, ist immer weiter in die bürgerliche Mitte gerückt. Der plötzliche Wandel der Realo-Grünen beim Thema Cannabis kommt daher nicht überraschend. Die Partei setzt bei ihrer Drogenpolitik auf „Prävention, Regulierung und Schadensminderung“. Geplant ist ein sogenanntes Cannabiskontrollgesetz. Damit soll „Anbau, Handel und Abgabe von Cannabis“ geregelt werden.
Die Linke
Die Linkspartei fordert ähnlich wie die Grünen eine liberale Drogenpolitik, die das Selbstbestimmungsrecht des Konsumenten achtet. Sie geht aber einen Schritt weiter und fordert regulierte Bezugsmöglichkeiten für alle Drogen. Aufklärung statt Verbot lautet hier das Motto. Die Positionierung der Linken ist seit Jahren unverändert geblieben. Folglich wird die Einteilung in legale und illegale Substanzen kritisiert. Diese Kategorisierung sage „nichts über deren Gefährlichkeit aus“. Im Parteiprogramm steht weiter: „Die gesellschaftliche Verharmlosung legaler Drogen ignoriert, dass in Deutschland neben Alkohol- und Nikotin auch Spiel- und Arzneimittelabhängigkeit weit verbreitet sind. (…) Die Fraktion DIE LINKE steht für eine Drogenpolitik, die aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse ohne ideologische Scheuklappen berücksichtigt.“ Auch wenn die Linkspartei bei einer möglichen Regierungsbeteiligung ihr Modell kaum durchsetzen könnte: Beim Thema Cannabis-Legalisierung wäre das Grundkonzept der Linken gut integrierbar.
Die FDP
Wenn die FDP über Liberalisierung und Freiheiten spricht, geht es fast immer um die Wirtschaft. Daher steht beim Thema Cannabis mitunter der potenzielle Gewinn, der unter anderem durch Steuereinnahmen aus lizensierten Verkäufen erzielt werden könnte, im Vordergrund. Die Rede ist von einer Summe in Höhe von „bis zu einer Milliarde Euro“. Als Orientierung wird die Besteuerung von Zigaretten genannt. Zugleich wird vor einem zu hohen Preis gewarnt, da so der Schwarzmarkt nicht eingedämmt werden könne. Der Deutsche Hanfverband etwa schlägt eine Steuer von 2,60 Euro pro Gramm vor. Was in dem FDP-Parteiprogramm fehlt, ist die Legalisierung des unkommerziellen Eigenanbaus – der steuerfrei wäre. Die FDP hatte hierzu bereits im März dieses Jahres einen Antrag in den Bundestag eingebracht, worin man mit der „Repressionspolitik“ der GroKo hart ins Gericht ging.
Die SPD
Bei den Sozialdemokraten herrschte lange ein ohnmachtähnlicher Stillstand in Sachen Drogenpolitik. Und das, obwohl die SPD seit 1998 konstant Teil der Bundesregierung ist. Auch aktuell kann man nicht unbedingt von einem progressiven Richtungswechsel sprechen. Denn bei einer möglichen Regierungskoalition mit der CDU könnte es nötig werden, sich der Unionsgewalt unterzuordnen. So könnte die SPD im Falle einer Schwarz-Rot-Grün-Koalition den Forderungen der CDU nachgeben und die Grünen damit möglicherweise zum gleichen Schritt zwingen. Denn „offen für Lockerungen“ zu sein, heißt zugleich, nicht unbedingt darauf zu bestehen. Nachdem das Thema beim Wahlkampfprogramm zunächst gänzlich ignoriert worden war, wird nun eine Entkriminalisierung von geringen Mengen gefordert. Die kontrollierte Abgabe soll vor einer geregelten Legalisierung im Rahmen von Modellprojekten erprobt werden.
Wissensstand über Cannabis
Auch wenn sich die Konzepte der Parteien für die Entkriminalisierung und Legalisierung von Cannabis unterscheiden: Die Argumente und Beweggründe sind sich ziemlich ähnlich. Verwiesen wird auf den mittlerweile soliden Wissensstand über die Folgen und Risiken von den Wirkstoffen der Hanfpflanze. Statistiken zeigen, dass die Gefahren für die Gesundheit wesentlich geringer einzustufen sind als bei legalen Traditionsdrogen wie Alkohol (rund 74.000 Tote jährlich) und Zigaretten (127.000 Tote im Jahr 2021). Zwar kann Cannabis-Konsum je nach Konsumart die Gesundheit gefährden, es gibt jedoch keine tödliche Dosis wie bei anderen legalen und illegalen Substanzen.
Entlastung der Justiz
Angesichts der aktuellen Erkenntnisse aus der Cannabis-Forschung stellen viele Richter und Staatsanwälte die immensen Verfahrens- und Zeitkosten im Zusammenhang mit dem Cannabis-Verbot infrage – und plädieren schon lange für eine Entkriminalisierung. Allein im Jahr 2019 gab es rund 218.000 Delikte im Zusammenhang mit Cannabis. Jugendrichter Andreas Müller etwa engagiert sich seit Jahren aktiv in der Szene und wehrt sich gegen die umstrittene These von Cannabis als vermeintliche Einstiegsdroge. Zuletzt hatte das Amtsgericht Münster im Juli die Vorschriften des Betäubungsmittelgesetzes zum Besitz von Cannabis als verfassungswidrig bewertet. Die hier eingesparten Kosten könnten in die Präventionsarbeit fließen.
Das Schwarzmarkt-Problem
Während die Unterstützer des Cannabis-Verbotes weiterhin Repressionen für eine effektive Maßnahme halten, entgegnen die Befürworter einer Legalisierung, dass der Konsum durch staatliche Einschränkungen nicht weniger wird – sondern gefährlicher. Der Grund: Der Konsument wird unweigerlich in den unkontrollierten Schwarzmarkt gedrängt, wo er unter Umständen lebensgefährlich verunreinigtes Cannabis erhält – und in Kontakt mit harten Drogen kommt. Auch zeigen Statistiken aus Ländern mit einer toleranten Cannabis-Politik, dass eine Legalisierung nicht zwingend zu einem erhöhten Konsum führt. Hier spielen andere soziale und kulturelle Faktoren eine Rolle. Das belegen etwa die Erkenntnisse der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, die auch im Parteiprogramm der Grünen genannt werden.
Hanf als Medizin
Die Wirkstoffe der Hanfpflanze (THC und CBD) werden seit Jahrtausenden als Heilmittel – insbesondere bei Schmerzen, Schlaf- und Appetitlosigkeit – eingesetzt. Aber auch in Zusammenhang mit psychischen Krankheiten, Epilepsie oder Krebserkrankungen soll Cannabis helfen. Doch gibt es hier vor allem im Bereich der Krebstherapie noch Forschungsbedarf. Auf der anderen Seite verweisen Kritiker auf Folgen wie psychische Abhängigkeit und Gedächtnisprobleme. Auch verstärke Cannabis unter Umständen bereits vorhandene Depressionen und löse Psychosen bei anfälligen Personen aus. Unbestreitbar ist jedoch, dass die Nebenwirkungen einer Cannabis-Therapie im Vergleich zu harten Pharmazeutika weit weniger bedenklich sind. Eine Legalisierung von Cannabis würde dem Konzept Hanf als Medizin neuen Antrieb verleihen. Zugleich würden die bürokratischen Barrieren für Cannabis-Patienten fallen.
Alle Augen auf die Bundestagswahl gerichtet
Mit Blick auf die Bundestagswahl hoffen nun rund vier Millionen Cannabis-Konsumenten in Deutschland auf eine Wende in der Drogenpolitik. Laut dem DHV-Präsidenten Georg Wurth war die Bundesrepublik einer Legalisierung noch nie so nah wie jetzt. Dem stimmen auch andere Experten zu. Das mit Spannung erwartete Wahlergebnis wird richtungsweisend sein.
TRT Deutsch
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