Zwischen 1941 und 1944 malträtierten die deutsche Wehrmacht, die SS und die Gestapo das besetzte Griechenland besonders gnadenlos. Die Erinnerung daran, so beklagen es viele Griechen, ist ungleich verteilt: In Griechenland ist sie präsent.
Im deutschen kollektiven Gedächtnis spielen die NS-Verbrechen dort hingegen kaum eine Rolle - obwohl die Liste der deutschen Gräueltaten sehr lang ist. Sie umfasst die Ermordung fast aller griechischen Juden, Massaker an Zivilisten, Lösegelderpressungen, Geiselerschießungen, Plünderungen, das willkürliche Niederbrennen von Dörfern.
Den beklemmenden Spuren der deutschen Besatzer wollte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nicht ausweichen, als sie sich am Donnerstag zu ihrem Antrittsbesuch in Athen aufhielt. „Vielen Deutschen ist Griechenland als Urlaubsort sehr vertraut“, sagte sie. „Aber zu wenige wissen um das Ausmaß der Schuld, die Deutschland dort im Zweiten Weltkrieg durch die Gräueltaten der NS-Besatzer auf sich geladen hat.“
In Athen legte sie am Holocaust-Mahnmal nahe der Beth-Schalom-Synagoge eine Blume nieder. Im berüchtigten Folterkeller der NS-Stadtkommandatur hatte sie zuvor die Graffiti besichtigt, die Häftlinge in ihrer Verzweiflung in die Wände geritzt haben.
Griechenland erwartet Wiedergutmachung von Deutschland
Baerbock weiß, dass viele Griechen von Deutschland mehr erwarten als symbolische Gesten - und dass sie diese Erwartungen enttäuscht. Griechenland hat eine Rechnung mit Deutschland offen, die es konkret beziffert. Mindestens 270 Milliarden Euro müsste Deutschland an Athen zahlen, um die Schäden zu begleichen: Diese Summe ließ 2018 ein Ausschuss des griechischen Parlaments errechnen. Die griechische Regierung forderte Deutschland 2019 in einer diplomatischen Verbalnote zu Verhandlungen über Reparationen für die Kriegsschäden auf.
Auf Reparationszahlungen nach dem Verbechen will sich die Bundesregierung aber nicht einlassen. Sie sieht für solche Forderungen keine Rechtsgrundlage. „Bei der Frage mit Blick auf Entschädigungszahlungen aus dem Zweiten Weltkrieg sind wir offensichtlich unterschiedlicher Meinung“, sagt Baerbock in Athen. Sie wolle mit der griechischen Regierung darüber reden, „wie wir aus unserer gemeinsamen Geschichte eine gemeinsame Zukunft noch besser bauen können“.
Hat sich Baerbocks Meinung nach einer Koalitionsbeteiligung geändert?
Die griechische Zeitung „Ta Nea“ warf vor dem Besuch die Frage auf, ob Baerbock in der Reparations-Frage „zurückgerudert“ sei, weil sie inzwischen von der Opposition in die Regierung gewechselt sei. Denn noch im vergangenen Jahr hatte die Grünen-Bundestagsfraktion inklusive Baerbock in einem Antrag gefordert, den griechischen Forderungen „künftig nicht mehr nur mit lautem Schweigen und Zurückweisung“ zu begegnen. Ganz konkret forderten die Grünen damals einen „neuen Umgang“ mit der Athener Forderung nach Rückzahlung der sogenannten Zwangsanleihe.
Denn in ihrer perversen Logik hatten die deutschen Besatzer die unterworfenen Länder gezwungen, die Kosten der Besatzung selbst zu tragen. Griechenland wurde deshalb 1942 zu einer zinsfreien Zwangsanleihe von 476 Millionen Reichsmark an Deutschland genötigt. Mit Zins und Zinseszins würde sich dies bis heute auf viele Milliarden Euro summieren.
Aufgegeben hat die griechische Regierung ihre Ansprüche nie, auch wenn die aktuelle konservative Regierung sie viel leiser vorträgt als die linksgerichtete Vorgängerregierung.
28 Juli 2022
Athen-Besuch: Baerbock lehnt Reparationszahlungen für NS-Verbrechen ab
Während in Deutschland die NS-Verbrechen in Griechenland kaum Thema sind, erinnern sich die Griechen noch heute daran. In Athen erkennt Außenministerin Baerbock die historische Schuld an – Rufe nach Reparationen weist sie aber zurück.
AFP
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