Auf der Suche nach einem Ausweg aus dem festgefahrenen Katalonien-Konflikt hat Spaniens Regierung neun inhaftierte Anführer der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung begnadigt. Er hoffe, mit dem Schritt einen Schlussstrich unter vergangene Konfrontationen ziehen zu können, sagte Ministerpräsident Pedro Sánchez am Dienstag nach der Zustimmung seines Kabinetts zu den umstrittenen Begnadigungen. Wann die Betroffenen freikommen, stand zunächst nicht fest; Medienberichten zufolge könnte dies schnell geschehen.
Puigdemont selbst noch im Ausland Seine Regierung wolle mit der Entscheidung eine „neue Phase des Dialogs und der Aussöhnung eröffnen“, sagte Sánchez. Nach seinen Angaben werden die Betroffenen allerdings nicht in vollem Umfang begnadigt. Sie bleiben demnach von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen. Eine weitere Bedingung sei, dass sie „keine neue schwere Straftat“ begehen. Die neun prominenten Vertreter der Unabhängigkeitsbewegung waren im Jahr 2019 wegen des Versuchs der Abspaltung Kataloniens von Spanien zu Haftstrafen zwischen neun und 13 Jahren verurteilt worden. Im Oktober 2017 hatte die damalige katalanische Regionalregierung unter Führung von Carles Puigdemont ein von der Justiz für illegal erklärtes Unabhängigkeitsreferendum abhalten lassen, kurz darauf folgte die Unabhängigkeitserklärung. Barcelona löste damit die schwerste politische Krise in Spanien seit Jahrzehnten aus.
Begnadigung wurde seit Wochen kontrovers diskutiert
Die damals konservative Zentralregierung griff hart durch und setzte die Regionalregierung ab. Puigdemont und andere Anführer der Unabhängigkeitsbewegung flohen ins Ausland. Weitere Mitstreiter wie der frühere katalanische Vizepräsident Oriol Junqueras wurden festgenommen. Zwei Jahre später wurde Junqueras zusammen mit anderen Führungspersönlichkeiten der Unabhängigkeitsbewegung vom Obersten Gericht in Abwesenheit zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Über eine Begnadigung der Verurteilten wurde in Spanien seit Wochen kontrovers diskutiert. Das Oberste Gericht sprach sich ebenso wie die meisten Oppositionsparteien gegen eine Begnadigung aus. Einer aktuellen Umfrage zufolge lehnen landesweit 53 Prozent der Spanier die Freilassung der neun Katalanen ab. In Katalonien hingegen sprachen sich zwei Drittel der Befragten dafür aus. Konservative Kritiker werfen Sánchez vor, er wolle durch die Begnadigungen seinen Machterhalt sichern, da seine linke Minderheitsregierung im Parlament in Madrid auch auf die Unterstützung der katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter angewiesen ist.
Regionalpräsident Aragonès signalisiert Dialogbereitschaft
Der spanische Regierungschef geht mit dem Schritt ein Wagnis ein, denn es ist unklar, ob dieser tatsächlich zu einer Lösung des Konflikts zwischen Madrid und Barcelona beitragen wird. Zwar verfolgt der neue Regionalpräsident Pere Aragonès von der linksgerichteten Partei ERC einen gemäßigteren Kurs als sein abgesetzter Vorgänger Quim Torra von der Puigdemont-Partei Junts per Catalunya. Aragonès hat bereits seine Dialogbereitschaft signalisiert, und schon in den nächsten dürfte es zu einem ersten Treffen mit Sánchez kommen.
Doch auch Aragonès fordert eine vollständige Amnestie sowie die Zustimmung Madrids zu einem Referendum über Kataloniens Selbstbestimmung nach dem Vorbild des schottischen Referendums im Jahr 2014. Beides lehnt die Zentralregierung strikt ab. Sie wäre allenfalls zu einer Abstimmung über ein Abkommen mit Barcelona bereit, das der Region weitreichende Autonomie einräumt.
Ungeachtet der Probleme warb Sánchez am Dienstag noch einmal für ein Ende des Konflikts: „Spanien ohne Katalonien wäre einfach nicht Spanien, so wie Katalonien ohne den Rest Spaniens nicht Katalonien wäre“, sagte er.