Mit Abklingen der schweren Unruhen in Frankreich nach dem Tod eines Jugendlichen durch einen Polizeischuss rücken die politischen Konsequenzen in den Fokus. Präsident Emmanuel Macron empfängt am Dienstag in Paris 200 bis 300 Bürgermeister aus Städten und Gemeinden, in denen die Ausschreitungen besonders heftig waren. Neben moralischer Unterstützung wolle der Präsident Hilfe bei der Reparatur beschädigter Rathäuser und anderer öffentlicher Einrichtungen anbieten, teilte die Regierung mit. Am Montagabend besuchte Macron mit Innenminister Gérald Darmanin eine Polizeiwache in Paris, um den Sicherheitskräften den Rücken zu stärken.
Nach Regierungsangaben wurden in den vergangenen Tagen über 3400 Menschen bei Ausschreitungen festgenommen. 684 Polizisten und Feuerwehrleute seien verletzt worden. Laut dem Sender BFMTV wurden erste Beteiligte bereits im Schnellverfahren verurteilt, unter anderem zu Haftstrafen mit elektronischer Fußfessel.
Größere Ausschreitungen blieben in der Nacht zum Dienstag aus. In Nanterre bei Paris, wo der 17 Jahre alte Jugendliche am Dienstag vergangener Woche von einem Polizisten erschossen worden war, blieb es trotz einzelner Sachbeschädigungen ruhig, wie BFMTV berichtete. Im Großraum Paris kam es zu 17 Festnahmen. Erneut waren in der Nacht zum Dienstag landesweit rund 45.000 Polizisten im Einsatz, um bei befürchteten Unruhen einzuschreiten.
Auch wenn die Gewalt nachgelassen habe, hätten die Wogen sich noch lange nicht geglättet, hieß es am Montag von der Regierung. Innenminister Gérald Darmanin rechtfertigte den Einsatz von Spezialeinheiten und gepanzerten Fahrzeugen, dies habe dazu beigetragen, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Von Zerstörungen und Plünderungen betroffenen Geschäftsleuten stellte der Minister Unterstützung in Aussicht. Verschiedene französische Städte und Regionen kündigten unbürokratische Hilfsfonds an, um Kaufleuten zu helfen.
Nach einer Beratung mit den Fraktionsvorsitzenden beider Parlamentskammern betonte Premierministerin Élisabeth Borne die Priorität, die Ruhe im Land wiederherzustellen. Dies solle durch eine verstärkte Polizeipräsenz und ein entschiedenes Vorgehen der Justiz erreicht werden.
Arbeitgebervereinigung Medef: Mehr als eine Milliarde Euro Schaden
Der wirtschaftliche Schaden durch die anhaltenden Unruhen in Frankreich ist nach Einschätzung der Arbeitgebervereinigung Medef gewaltig. „Es ist noch zu früh, um eine genaue Zahl zu nennen, aber wir liegen bei über einer Milliarde Euro, ohne die Schäden für den Tourismus zu berücksichtigen“, sagte Medef-Chef Geoffroy Roux de Bézieux der Zeitung „Le Parisien“. Über 200 Geschäfte seien vollständig geplündert, 300 Bankfilialen zerstört und 250 Kioske in Mitleidenschaft gezogen worden.
„Die Videos der Unruhen, die in der ganzen Welt kursierten, beschädigen das Image Frankreichs“, sagte der Arbeitgeber-Chef. „Es ist immer schwer zu sagen, ob die Auswirkungen dauerhaft sind, aber es wird sicherlich einen Rückgang der Buchungen in diesem Sommer geben, obwohl die Saison vielversprechend war.“ Einige Touristen hätten ihre Aufenthalte bereits storniert.
Seit dem Tod des 17-jährigen Nahel durch eine Polizeikugel bei einer Verkehrskontrolle wurde Frankreich von schweren Krawallen erschüttert. Vor allem nachts herrschten teils chaotische Zustände auf den Straßen. Wiederholt kam es zu Plünderungen, Brandanschlägen und gewaltsamen Konfrontationen zwischen Polizisten und Randalierern.
Gegen den Beamten, der den Schuss auf den Jugendlichen abgab, wird wegen Totschlagverdachts ermittelt. Frankreich sei ein Rechtsstaat und auch die Polizei an Gesetze gebunden, betonte die Regierung am Montag. Die Polizei habe aber keine systemischen Probleme mit Rassismus oder leichtfertigem Einsatz von Schusswaffen. Gerade in den vergangenen Tagen habe sie vielmehr Professionalität und Augenmaß bewiesen - trotz heftiger Ausschreitungen seien weder Randalierer noch Beamte zu Tode gekommen. Der Tod des Jugendlichen sei gleichwohl tragisch und bewege verständlicherweise die Gemüter. Auf Forderungen nach einer Polizeireform ging die Regierung bisher nicht ein.