Drei EU-Regierungschefs sind inmitten des russischen Angriffskriegs in der Ukraine zu einem Besuch in die umkämpfte Hauptstadt Kiew aufgebrochen. Ein Zug mit den Ministerpräsidenten von Polen, Tschechien und Slowenien überquerte nach polnischen Angaben von Dienstagvormittag bereits die Grenze zur Ukraine. In Kiew sind Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Regierungschef Denys Schmyhal geplant.
Unterdessen gingen die russischen Angriffe auf ukrainische Städte auch am 20. Kriegstag weiter. Bei einem Angriff auf einen Fernsehturm starben nahe der nordwestukrainischen Großstadt Riwne nach ukrainischen Angaben 19 Menschen, 9 wurden verletzt. In der belagerten Hafenstadt Mariupol kamen nach offiziellen Angaben seit Kriegsbeginn am 24. Februar mehr als 2300 Menschen ums Leben. Mariupol mit etwa 400.000 Einwohnern ist seit Tagen von russischen Einheiten umzingelt und vom Rest des Landes abgeschnitten.
Mit mehreren Fluchtkorridoren sollten auch am Dienstag landesweit Zivilisten aus umkämpften Städten und Dörfern in Sicherheit gebracht werden. Auch in Mariupol soll ein solcher Versuch gestartet werden. Ein Konvoi mit Hilfsgütern steht nach Regierungsangaben rund 70 Kilometer von der Stadt entfernt bereit. Insgesamt seien neun „humanitäre Korridore“ eingerichtet worden. Die Schwerpunkte lagen nordöstlich der Hauptstadt Kiew sowie in den nordostukrainischen Gebieten Sumy und Charkiw. Nach Angaben der UN-Organisation für Migration (IOM) sind mehr als drei Millionen Menschen seit Kriegsbeginn aus der Ukraine geflohen.
In einer aufsehenerregenden Protestaktion unterbrach eine Frau mit einem Antikriegsplakat am Montagabend die Hauptnachrichtensendung des russischen Fernsehens. Videos der Szene wurden inzwischen zigfach online verbreitet, zahlreiche Menschen lobten die Frau für ihren Mut.
Am Dienstag sollten weitere Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine stattfinden.
Solidaritätsbesuch im Kriegsgebiet
Die Entscheidung für die Visite der Regierungschefs von Polen, Tschechien und Slowenien sei schon beim EU-Gipfel vergangene Woche gefallen, sagte der polnische Regierungssprecher Piotr Müller am Dienstag. Die Delegation vertrete „de facto die Europäische Union, den Europäischen Rat“. In Kiew werde die Delegation ein Signal der Unterstützung für den Freiheitskampf der Ukraine geben und ein Paket mit konkreter Unterstützung für die Ukraine vorlegen.
Auf die Frage, warum die EU-Spitze nicht selbst nach Kiew fahre, entgegnete Müller: „Dies ist eine schwierige Frage, aber es ist eine Frage der individuellen Entscheidungen jedes europäischen Spitzenpolitikers.“ Experten hätten die Sicherheitslage gründlich analysiert und seien zu dem Schluss gekommen, dass „dieser Besuch einfach stattfinden muss“.
Beide Seiten berichten von militärischen Erfolgen
Ukrainische Truppen haben nach eigenen Angaben einen russischen Vorstoß in der umkämpften Hafenstadt Mariupol abgewehrt. Dabei seien etwa 150 Angreifer getötet sowie zwei Panzer und mehrere gepanzerte Fahrzeuge zerstört worden, teilte der ukrainische Generalstab am Dienstagmorgen mit. Der russische Vormarsch stocke landesweit. Seit Kriegsbeginn seien mehr als 13.500 russische Soldaten getötet worden.
Die russische Armee gab bekannt, dass sie das komplette Gebiet Cherson im Süden der Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht habe. Dort leben rund eine Million Menschen. Bestätigt wurde die Besetzung von ukrainischer Seite zunächst nicht. Die Angaben können nicht unabhängig überprüft werden.
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko hat für die ukrainische Hauptstadt eine Ausgangssperre von Dienstagabend bis Donnerstagfrüh verhängt. Die Einwohner dürften ihre Häuser nur verlassen, um sich in Schutzräumen und Bunkern in Sicherheit zu bringen. Russische Truppen versuchen, Kiew von mehreren Seiten einzukreisen.
USA warnen China
Die USA haben China für den Fall einer Unterstützung Russlands mit „erheblichen Konsequenzen“ gedroht. Bei einem Treffen mit dem obersten chinesischen Außenpolitiker Yang Jiechi habe der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan deutlich gemacht, „dass es erhebliche Konsequenzen geben wird, sollten sie (China) militärische oder andere Hilfe leisten, die natürlich gegen Sanktionen verstoßen oder die Kriegsanstrengungen unterstützen“, sagte Präsidenten-Sprecherin Jen Psaki am Montag. Zuvor hatten US-Medien berichtet, dass Russland China um militärische und wirtschaftliche Hilfe gebeten haben soll, was beide Länder aber zurückgewiesen haben.
Faeser: Kein Sicherheitsrisiko bei ukrainischen Geflüchteten
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges sind laut Bundesinnenministerium fast 160.000 Menschen aus der Ukraine nach Deutschland eingereist. Da es aber im Regelfall keine festen Grenzkontrollen an den EU-Binnengrenzen gibt und Ukrainer erst einmal ohne Visum einreisen dürfen, ist die Zahl der nach Deutschland eingereisten Kriegsflüchtlinge wahrscheinlich bereits deutlich höher. Ein Sicherheitsrisiko gibt es bei der Einreise von ukrainischen Geflüchteten laut Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nicht.
15 März 2022
dpa
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