Die Europäische Union wird den regelmäßigen politischen Dialog mit Israel vorerst nicht aussetzen - trotz schwerer Vorwürfe bezüglich der israelischen Kriegsführung im Gazastreifen. Obwohl Israel angesichts der zahlreichen zivilen Todesopfer ein Völkermord in Gaza vorgeworfen wird, signalisierten mehrere Länder bei einem Außenministertreffen in Brüssel, dass sie einem entsprechenden Vorschlag des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell nicht zustimmen wollen. Weil er einstimmig beschlossen werden müsste, kann er deswegen bis auf Weiteres nicht umgesetzt werden.
Baerbock gegen Aussetzung des EU-Dialogs mit Israel
Zu den Politikern, die den Vorstoß Borrells bei dem Treffen nicht unterstützten, gehörten nach Angaben von Diplomaten Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sowie etwa Kollegen aus Ländern wie Österreich, Tschechien, Ungarn und den Niederlanden. Baerbock äußerte sich allerdings dafür, gezielt gegen israelische Regierungsmitglieder vorzugehen, „die das Existenzrecht von Palästinensern oder das Völkerrecht infrage stellen“. Borrell hatte zuletzt einen Vorschlag für Strafmaßnahmen gegen die rechtsextremen Minister Bezalel Smotrich (Finanzminister) und Itamar Ben-Gvir (Polizeiminister) vorgelegt.
Zur Situation im Gazastreifen sagte Baerbock, „das Leid der Menschen, vor allem der Kinder in Gaza, sei kaum noch in Worte zu fassen“. Es gebe keine Ausreden dafür, dass keine humanitäre Hilfe nach Gaza hereinkommen könne. „Humanitäre Hilfe ist fest verankert im Völkerrecht“, sagte sie. Man habe zudem deutlich gesagt, „dass es keine Besiedlung von Gaza geben dürfe und keine Vertreibung aus Gaza“.
Israel wird Verstoß gegen internationales humanitäres Völkerrecht vorgeworfen
Den Vorschlag, den regelmäßigen politischen Dialog mit Israel auszusetzen, hatte Borrell den Mitgliedstaaten in der vergangenen Woche unterbreitet. Er begründet ihn mit Analysen, nach denen Israel im Zuge seiner Kriege im Nahen Osten gegen Menschenrechte und internationales humanitäres Völkerrecht verstößt.
„Die meisten Mitgliedstaaten hielten es für besser, die diplomatischen und politischen Beziehungen zu Israel fortzusetzen, sodass die Entscheidung – wie erwartet – nicht in Betracht gezogen wurde“, sagte er nach dem Ministertreffen. Er habe „alle Informationen auf den Tisch gelegt, die von vor Ort tätigen Organisationen zu erhalten seien“.
EU-Beamte betonen zu dem Vorstoß, dass es „nicht um einen Abbruch aller Kontakte, sondern um ein Einfrieren des politischen Dialogs“ gehe, der Teil eines sogenannten Assoziationsabkommens aus dem Jahr 2000 ist. Dieser sieht unter anderem einen regelmäßigen Austausch zur Stärkung der Beziehungen und zur Weiterentwicklung der Partnerschaft vor. „Das Aussetzen des Dialogs wäre damit vor allem ein symbolischer Schritt.“
Israel ist wegen der zahlreichen zivilen Opfer im Gazastreifen und der katastrophalen Versorgungslage der Menschen dort international massiv in die Kritik geraten. Vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag läuft eine von Südafrika erhobene Völkermord-Klage gegen Israel. Nach der Klage Südafrikas hatte der IGH im Januar Israel angewiesen, alle Handlungen gegen Palästinenser zu unterlassen, die unter die Völkermord-Konvention fallen könnten. Die israelische Regierung müsse sicherstellen, dass ihre Truppen keinen Genozid an den Palästinensern begehen, hieß es dabei.
Israelischer Vernichtungskrieg in Gaza
Israel hatte nach dem Vergeltungsschlag der palästinensischen Widerstandsorganisation Hamas am 7. Oktober 2023 einen Vernichtungskrieg in Gaza gestartet. Erklärtes Ziel ist die Zerschlagung der Hamas, doch es wurden bislang Zehntausende Zivilisten getötet.
Humanitäre Hilfslieferungen werden von Israel behindert. Fast zwei Millionen Menschen wurden gezwungen, in den Süden zu flüchten. Doch auch dort sind sie israelischen Angriffen ausgesetzt. Zudem herrscht eine akute Hungerkrise, die Hungertote fordert.
Nach palästinensischen Angaben wurden in Gaza seit dem 7. Oktober 2023 mehr als 43.800 Menschen getötet und mehr als 103.600 verletzt. Die Zahl könnte weit höher sein, da noch viele Tote unter den Trümmern liegen und nicht geborgen werden können. Beim Großteil der Todesopfer handelt es sich laut örtlichen Berichten um Frauen und Kinder.