Bundeskanzler Olaf Scholz dringt auf eine Reform des UN-Sicherheitsrates und hat den Veto-Mächten indirekt das Recht abgesprochen, eine Neuordnung zu verhindern. „Letztlich liegt es in der Hand der Generalversammlung, über eine Reform des Sicherheitsrates zu entscheiden“, sagte der Kanzler in der Nacht zu Mittwoch in seiner Rede von der UN-Vollversammlung laut Redemanuskript. Die Zusammensetzung des Sicherheitsrates, der mit den USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien fünf ständige Mitglieder hat, sei überholt. „Afrika gebührt mehr Gewicht, so wie auch Asien und Lateinamerika.“
Deutschland kandidiert für nichtständigen Sitz 2027/28
Den deutschen Wunsch nach einem eigenen ständigen Sitz im höchsten UN-Gremium wiederholte der Scholz nicht ausdrücklich, sondern erwähnte die deutsche Kandidatur für einen zweijährigen, nichtständigen Sitz 2027/28. Er erinnerte aber daran, dass Deutschland nach den USA der zweitgrößte Finanzier der UN ist und seine Zusagen für die internationalen Klimafinanzierung auf sechs Milliarden Euro verdreifacht hat.
Scholz sagte, niemand sollte sich einer Reform des Sicherheitsrates widersetzen. Wenn man sich einig sei, dass Länder der südliche Halbkugel mehr Repräsentanz bräuchten, könne man über einen Text mit verschiedenen Optionen verhandeln. „Solche ergebnisoffenen Verhandlungen sollte kein Land mit Maximalforderungen blockieren.“ Hintergrund ist eine ablehnende Haltung von Russland und China. Theoretisch können sie ein Veto gegen eine Veränderung der Zusammensetzung einlegen. Die Reform wird deshalb seit Jahrzehnten blockiert. Deutschland strebt zusammen mit Indien, Brasilien und Japan mit Rahmen der sogenannten G4-Gruppe einen ständigen Sitz an.
Scharfe Kritik an Russland
Angesichts der Krisen sei in der Welt mehr und nicht weniger Kooperation nötig, sagte Scholz. Die Vereinten Nationen könnten auch nicht durch multilaterale Zusammenschlüsse wie G20, G7 oder den Brics-Block ersetzt werden. „Nur die Vereinten Nationen – auf Basis der Werte, die in ihrer Charta verkörpert sind – lösen den Anspruch universeller Repräsentanz und souveräner Gleichheit aller vollumfänglich ein.“ Sie stehe für den Verzicht auf Gewalt, die Ablehnung jeder Form des Revisionismus und für das Bekenntnis zur Zusammenarbeit über Trennendes hinweg. Er übte Kritik daran, dass einige Regierungen unter der Formel „Zusammenarbeit nur unter Gleichgesinnten“ den Wunsch nach einer Spaltung der Welt verpackten.
Scholz kritisierte erneut scharf Russland wegen des Überfalls auf die Ukraine und verwies in Anspielung etwa auf stark gestiegene Lebensmittel- und Energiepreise auf katastrophale globale Folgen. „Vergessen wir nicht: Russland ist für diesen Krieg verantwortlich. Und es ist Russlands Präsident, der ihn mit einem einzigen Befehl jederzeit beenden kann.“ Der Kanzler warnte erneut vor „Schein-Lösungen“, die „Frieden“ lediglich im Namen trügen.
Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 haben zahlreiche Länder Sanktionen gegen Russland verhängt. Die 27 EU-Staaten haben bislang elf Sanktionspakete verabschiedet.
Türkiye beteiligt sich nicht an den westlichen Sanktionen. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan betonte in einem Interview mit dem US-Sender PBS, dass Türkiye eine unabhängige Position in der internationalen Politik einnehme. Er wies auf die Bedeutung des humanitären Engagements im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Ukraine hin. So habe die türkische Position beispielsweise dazu geführt, dass die gestoppten Getreideexporte aus der Region wieder aufgenommen werden konnten.