Ein halbes Jahr nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan haben sich Befürchtungen hinsichtlich einer gezielten Verfolgung der einheimischen Mitarbeiter bisher nicht bestätigt. Dem Bundesentwicklungsministerium (BMZ) sei „ein konkreter Fall bekannt, bei dem eine Ortskraft der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für eine Woche inhaftiert wurde“, sagte ein Sprecher des Ministeriums der Deutschen Presse-Agentur. „Darüber hinaus hat das BMZ keine eigenen Erkenntnisse darüber, dass Ortskräfte der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan seit August 2021 von den Taliban bedroht, misshandelt oder getötet worden sind.“
Einzelne weitere Berichte - aber nicht verifizierbar
Dem BMZ seien einzelne Berichte von Ortskräften über entsprechende Vorkommnisse bekannt, sagte der Sprecher. Diese könnten aber, auch aufgrund einer fehlenden deutschen Präsenz vor Ort, nicht verifiziert werden.
Aus dem Verteidigungsministerium hieß es: „Über eine generelle Bedrohung von ehemaligen Ortskräften der Bundeswehr seit Machtübernahme der Taliban einschließlich einer Verlautbarung der Taliban in diesem Sinne liegen dem Bundesministerium der Verteidigung keine nachprüfbaren Informationen vor.“ Es würden Einzelinformationen zur Kenntnis gebracht, nach denen ehemalige Ortskräfte oder Familienangehörige in Deutschland sowie Hilfsorganisationen über Übergriffe oder Drohungen von Taliban gegen ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr oder ihre Familienangehörigen berichteten.
Evakuierung schutzbedürftiger Menschen soll Fahrt aufnehmen
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte vor Weihnachten angekündigt, die Bundesregierung werde die Evakuierung von besonders schutzbedürftigen Menschen - darunter Menschenrechtsverteidigern und früheren Ortskräfte - beschleunigen. „Sie sind nicht vergessen“, versicherte Baerbock. „Wir arbeiten mit Hochdruck daran, alle in Sicherheit zu bringen.“ Auch steuere Afghanistan „in die größte humanitäre Katastrophe unserer Zeit“, warnte die Grünen-Politikerin mit Blick auf die schwere Hungersnot in dem Land. Große Teile der Wirtschaft in Afghanistan seien zusammengebrochen, viele Menschen müssten hungern, Familien verkauften in ihrer Verzweiflung ihre Töchter, um Nahrungsmittel kaufen zu können.
Doch ohne Mitarbeiter im Land ist die nötige Hilfe für 24 Millionen Menschen nicht zu leisten. Während die Bundesregierung einerseits bemüht ist, bisherige Ortskräfte und ihre Angehörigen aus dem Land nach Deutschland zu bringen, werden in Afghanistan bereits neue Mitarbeiter unter Vertrag genommen.
Um im Auftrag des Entwicklungsministeriums „Programme der Daseinsfürsorge zur Abmilderung der humanitären Katastrophe umzusetzen“, haben die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und Nichtregierungsorganisationen „in begrenztem Umfang neue Ortskräfte in Afghanistan eingestellt“, sagte der Sprecher. Und: „Das BMZ hat mit den Nichtregierungsorganisationen und der GIZ die Frage der Sicherheit der Ortskräfte erörtert. Derzeit liegen dem BMZ keine Erkenntnisse vor, die auf eine Gefährdung dieser Ortskräfte schließen lassen.“
Ministerium im engen Kontakt mit ehemals Beschäftigten
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums berichtete, das Ministerium stehe in einem engen Kontakt zu den ehemals beim deutschen Polizeiprojektbüro Beschäftigten und deren Familienangehörigen. Es leiste „in enger Abstimmung mit den Ressorts unter der Federführung des Auswärtigen Amtes und der logistischen Hilfe der GIZ“ einen Beitrag zur Unterstützung unserer ehemaligen Ortskräfte in Afghanistan, insbesondere um eine möglichst rasche Ausreise mit den Familienangehörigen zu ermöglichen. Weitergehende Auskünfte zu deren aktueller Gefährdungssituation könnten jedoch vor dem Hintergrund der laufenden Bemühungen derzeit nicht erteilt werden.
Die Bundeswehr war Ende Juni 2021 nach fast 20 Jahren aus Afghanistan abgezogen und hatte sich im August nach dem Siegeszug der Taliban elf Tage lang an einer Evakuierungsmission für Schutzbedürftige beteiligt. Bis zum Jahreswechsel waren deutlich mehr als 5000 Menschen in Deutschland aufgenommen worden. Zuletzt warteten noch mehr als 28.000 Menschen auf die Möglichkeit zur Ausreise.