25.03.2023, Israel, Tel Aviv: Eine Reihe von Demonstranten, die Frauenrechte unterstützen und als Figuren aus der Fernsehserie "The Handmaid's Tale" gekleidet sind, und andere Israelis protestieren gegen Pläne der Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu, das Justizsystem zu überarbeiten. / Photo: DPA (dpa)
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Aus Sorge um Israels Wehrfähigkeit hat Verteidigungsminister Joav Galant die eigene Regierung zum Stopp der umstrittenen Justizreform aufgerufen. Er forderte am Samstagabend einen Dialog mit den Reformgegnern und sprach von einem Zeitrahmen bis zum israelischen Unabhängigkeitstag am 26. April. Die nationale Sicherheit werde sonst schweren Schaden nehmen, warnte Galant mit Blick auf zahlreiche Reservisten, die aus Protest gegen die Justizreform nicht zum Dienst bei der Armee erschienen sind.

Galant ist das bisher ranghöchste Regierungsmitglied, das sich kritisch über das Vorhaben zur Schwächung der Justiz äußert. „Jediot Achronot“, die auflagenstärkste kostenpflichtige Zeitung in Israel, schrieb am Sonntag in ihrer Schlagzeile: „Rebellion innerhalb des (regierenden) Likud“.

Galants Aufruf stieß auf ein geteiltes Echo. Mindestens zwei weitere Mitglieder seiner Likud-Partei unterstützten seine Forderung, wie israelische Medien am Sonntag berichteten. Andere Koalitionsmitglieder reagierten dagegen mit Zorn und forderten sogar seine Entlassung. Polizeiminister Itamar Ben-Gvir schrieb bei Twitter, Galant sei unter dem Druck der Medien und der Demonstranten zusammengebrochen. „Ich rufe den Ministerpräsidenten dazu auf, ihn sofort zu entlassen.“

„Das liberale Lager ist aufgewacht“

Oppositionsführer Jair Lapid nannte Galants Aufruf dagegen einen „mutigen Schritt“, der essenziell wichtig für Israels Sicherheit sei. „Dies ist die Stunde der Wahrheit.“ Lapid rief die Regierung dazu auf, die Gesetzgebung zu stoppen und im Amtssitz des Präsidenten Izchak Herzog einen Dialog zu beginnen.

Organisatoren der Massenproteste gegen die Reform teilten jedoch nach Galants Ansprache mit, die Demonstrationen würden bis zur kompletten Aufgabe der Reformpläne fortgesetzt. Sie haben eine „Woche der Störung“ mit zahlreichen Protesten angekündigt. Am Samstagabend versammelten sich nach Medienberichten in der Küstenmetropole Tel Aviv wieder rund 200 000 Demonstranten. Auch in anderen Städten beteiligten sich Zehntausende Menschen an Kundgebungen.

Experten gehen davon aus, dass es bei den monatelangen Massenprotesten nicht nur um die Justizreform geht, sondern dass das liberale Lager damit auch seinem Ärger über andere tiefliegende Probleme Luft macht. „Wir wollen nicht mehr die Gelackmeierten sein“, schrieb Oppositionsführer Lapid. „Wir leben nicht nur in diesem Land, um Steuern zu zahlen und unsere Kinder in die Armee zu schicken. Inmitten der Düsterkeit der vergangenen Monate ist auch etwas Wunderbares passiert: Das liberale Lager ist aufgewacht.“

Rechtsextreme Netanjahu-Regierung will umstrittene Reform demnächst umsetzen

Die rechtsextreme Koalition um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will Kernelemente der Reform in den nächsten Tagen umsetzen. Die Abstimmung über ein Gesetz, das Regierungspolitikern mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern verleihen soll, könnte bereits am Montag stattfinden. Noch ist unklar, wie Kritiker der Reform innerhalb der Regierung dabei abstimmen werden. Die Koalition hat im Parlament eine Mehrheit von nur vier Mandaten.

Netanjahus Regierung wirft dem Höchsten Gericht übermäßige Einmischung in politische Entscheidungen vor. Dem Parlament soll es deshalb künftig möglich sein, mit einfacher Mehrheit Entscheidungen des Höchsten Gerichts aufzuheben. Kritiker sehen die Gewaltenteilung als Grundpfeiler der Demokratie in Gefahr und warnen vor einer Staatskrise.

Galant sagte in seiner Ansprache, er habe in den vergangenen Wochen beunruhigende Äußerungen von Kommandeuren der Armee gehört. Er sprach von „Zorn, Schmerz und Enttäuschung in einer Intensität, wie ich sie noch nie erlebt habe“. Galant mahnte: „Die Bedrohungen um uns herum sind groß.“ Damit bezog er sich auf den Dauerkonflikt mit den Palästinensern und das iranische Atomprogramm.

„Ich werde kein Söldner eines diktatorischen Regimes sein“

Kampfpiloten der Reserve haben nach einem israelischen Fernsehbericht gedroht, sie würden sich an einem möglichen Angriff auf die iranischen Atomanlagen nicht beteiligen, sollte die Justizreform durchgesetzt werden. „Ich werde kein Söldner eines diktatorischen Regimes sein“, sagte einer von ihnen dem israelischen Kanal 12.

Auch die Lage in den Palästinensergebieten bleibt sehr angespannt: Zum dritten Mal binnen eines Monats kam es am Samstagabend in der palästinensischen Ortschaft Huwara im Westjordanland zu einem Anschlag auf Israelis. Dabei wurden nach Militärangaben zwei Soldaten verletzt, einer davon schwer. Den Berichten zufolge schoss ein mutmaßlich palästinensischer Täter aus einem fahrenden Auto. Erst vor knapp einer Woche war ein Israeli bei einem Anschlag in dem Ort schwer verletzt worden. Vor einem Monat wurden dort zwei israelische Brüder getötet. Anschließend kam es zu schweren Ausschreitungen israelischer Siedler.

dpa