16. Februar 2022, Hessen, Frankfurt/Main: Polizeibeamte stehen zu Beginn des Prozesses gegen den mutmaßlichen Verfasser der „NSU 2.0“-Drohschreiben vor dem Gebäude C des Frankfurter Landgerichts. Dem Mann werden unter anderem Beleidigung in 67 Fällen, versuchte Nötigung und Bedrohung vorgeworfen. (Others)
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Vor dem Frankfurter Landgericht hat am Mittwoch der Prozess um die „NSU 2.0“-Drohschreiben mit rassistischen Beleidigungen und Todesdrohungen gegen den 54 Jahre alten Alexander Horst M. begonnen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Beleidigung in 67 Fällen, versuchte Nötigung und Bedrohung sowie öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung, Besitz kinder- und jugendpornografischer Schriften sowie einen Verstoß gegen das Waffengesetz vor.

Er soll seine rund 116 Drohschreiben per Fax und auch via Email an Privatpersonen und Personen des öffentlichen Lebens sowie an Behörden versendet haben. Unterzeichnet waren die Schreiben häufig mit „SS-Obersturmführer“ sowie „NSU 2.0“ – in Anspielung auf die rechtsextreme Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU).

Begonnen hatte die Drohserie im Jahr 2018 mit Todesdrohungen gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz und ihre Familie. Auch mehrere Linken-Politikerinnen und die Kabarettistin Idil Baydar erhielten Drohschreiben. Private Daten der bedrohten Frauen unrechtmäßig von Polizei abgefragt

In mehreren Fällen waren zuvor private Daten der bedrohten Frauen von Polizeirechnern unrechtmäßig abgefragt worden. Vor Beginn des Prozesses haben die betroffenen Frauen in einer gemeinsamen Erklärung vollständige Aufklärung gefordert.

„Nach allem, was wir wissen, steht für uns jedoch fest: Der NSU 2.0-Komplex ist mit der Festnahme des Angeklagten nicht aufgeklärt. Es gibt für uns zwingende Hinweise auf mindestens gezielte Datenweitergabe aus Polizeikreisen“, hieß es darin.
„Wenn der Staat hier nicht aufklärt, sondern sich weiterhin weigert, konsequent auch gegen Beschuldigte aus polizeilichen Kreisen zu ermitteln, dann haben wir ein verfassungsrechtliches Problem“, betonten auch mehrere Anwaltsverbände in einer gemeinsamen Stellungnahme. Besondere Sorge bereite, dass der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) die Anklage als Anlass genommen habe, die Polizei als entlastet zu sehen. „Nur wenn auch die Frage einer möglichen Verstrickung hessischer Polizeibehörden aufgeklärt ist, kann der Ermittlungskomplex NSU 2.0 abgeschlossen werden“, betonte Anna Gilsbach aus dem Vorstand des Republikanischen Anwaltvereins RAV.

Angehörige der Landtagsfraktion der Linken begleiteten den Prozessbeginn mit einer Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude. Der Abgeordnete Hermann Schaus bedauerte, dass die illegalen Datenabfragen nicht Teil der Anklage seien. Hier bestehe nach wie vor Aufklärungsbedarf, betonte er. „Wir wollen unsere Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0 zum Ausdruck bringen und klar machen: Rechte Netzwerke in Polizei, Sicherheitsbehörden und Militär müssen konsequent aufgedeckt und zerschlagen werden.“

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dpa