Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen. / Photo: DPA (dpa)
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Das überdurchschnittlich starke Abschneiden der AfD in Ostdeutschland bei der Europawahl hat eine Debatte über das Verhältnis zwischen Ost- und Westdeutschen ausgelöst. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) warnte am Dienstag vor einer zunehmenden Kluft. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte Initiativen, um mehr Austausch zu ermöglichen - insbesondere auch bei jungen Menschen.

„In sozialen Netzwerken lese ich nach der Europawahl jetzt Sätze wie: 'Wo bleibt die Dankbarkeit der Ostdeutschen?'“, sagte Ramelow den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Dienstag. „Das sind Fragen, die wir jetzt gerade nicht brauchen.“

„Der Osten hat sich nicht zu entschuldigen. Man sollte ihn vielmehr als Chance begreifen. Stattdessen geht die emotionale Einheit zunehmend krachen. Dass man von Ostdeutschen Dankbarkeit erwartet, treibt diese Spirale weiter an“, fuhr der Linken-Politiker fort.

Die AfD war mit einem vorläufigen amtlichen Ergebnis von 15,9 Prozent als zweitstärkste Kraft hinter der Union aus der Europawahl hervorgegangen. Sie fuhr damit ihr bisher bestes Ergebnis bei Wahlen zum EU-Parlament ein. Die Partei kam dabei in allen fünf ostdeutschen Flächenländern auf Platz eins. Die neu gegründete Wagenknecht-Partei BSW belegte im Osten Platz drei.

In Thüringen finden wie in Sachsen und Brandenburg im September Landtagswahlen statt. „Die Ausgangslage ist schwierig“, sagte Ramelow. „Aber Landtagswahlen sind Personalwahlen. Und alle Personalwahlen sind für die AfD nicht gut ausgegangen.“

Wüst fordert Neustart der Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschland

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst forderte angesichts der Wahlergebnisse einen Neustart der Beziehungen zwischen Ost- und Westdeutschland. „Es ist Zeit für einen Einigungsvertrag 2.0, der neben der formalen Einheit auch die Menschen besser zusammenbringt - für stärkeres Vertrauen und Zusammenhalt zwischen Ost und West“, sagte er dem RND.

Dem CDU-Politiker geht es konkret darum, „eine Reihe von Projekten zu vereinbaren - zum Beispiel, dass man junge Menschen aus Ost und West stärker zusammenbringt“. Nötig sei ein Austausch, der den europäischen Städtepartnerschaften ähnele. Wüst betonte: „Denn Austausch schafft Vertrauen und öffnet Perspektiven für mehr Verständnis untereinander.“

Der Ministerpräsident sprach sich in dem Interview zudem für eine Wiederbelebung des Runden Tisches aus, wie es ihn zur Wendezeit gab. „Damals kamen sehr unterschiedliche Menschen zusammen mit dem einen Ziel, an einer besseren demokratischen Zukunft zu arbeiten“, sagte Wüst.

Der CDU-Politiker sieht dabei auch seine Landsleute in der Pflicht: „Mancher kennt sich auf Mallorca besser aus als in Sachsen oder Thüringen“, beklagte Wüst. Er habe den Eindruck, „dass viele Menschen aus Nordrhein-Westfalen noch nie in den - gar nicht mehr so - neuen Ländern gewesen sind“.

SPD-Chefin Saskia Esken sagte hingegen dem MDR, sie sehe keine zunehmende Kluft zwischen Ost und West. Auch in Baden-Württemberg habe die AfD mancherorts Stimmenanteile zwischen 19 und 20 Prozent erhalten, beispielsweise in ihrem Wahlkreis. Gleichwohl müssten Probleme angegangen werden, um die soziale Spaltung zu überwinden. „Es ist nicht in Ordnung, dass im Osten wesentlich weniger verdient wird als im Westen. Da müssen wir es auch schaffen, dass die Einheit sich weiterentwickelt“, sagte Esken.

AFP