Die gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) erwarten nach abgesicherten Finanzen 2023 wieder ein Defizit im nächsten Jahr. Es sei damit zu rechnen, dass es voraussichtlich eine Lücke zwischen 3,5 Milliarden und 7 Milliarden Euro geben werde, sagte die Chefin des GKV-Spitzenverbands, Doris Pfeiffer, am Donnerstag im brandenburgischen Kremmen. Ohne Maßnahmen zum Gegensteuern würde daraus rechnerisch ein Anstieg beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 0,2 bis 0,4 Prozentpunkten resultieren. Pfeiffer forderte die Bundesregierung daher zu einer nachhaltigen Stabilisierung auf. „Die Beitragserhöhungsspirale muss durchbrochen werden”, mahnte sie.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte am Donnerstag mit Blick auf die Kassenfinanzen ein Finanzierungskonzept an. Darüber sei man regierungsintern in der Absprache, sagte er in Berlin. Leistungskürzungen bei den Kassen schloss er auf Nachfrage aus.
Für dieses Jahr hatte der Bundestag wegen eines sonst erwarteten Defizits von 17 Milliarden Euro eine extra Finanzspritze für die Kassen beschlossen. Pfeiffer erläuterte, dass allein zehn Milliarden Euro davon aus Beitragsgeld aufgebracht worden seien - aus Reserven im Bereich der Kassen und einem Anstieg beim durchschnittlichen Zusatzbeitrag von 0,15 Punkten auf 1,51 Prozent. Zudem stockte der Bund unter anderem seinen üblichen Zuschuss um zwei Milliarden Euro auf, Pharmabranche und Apotheken werden mit höheren Abschlägen herangezogen. Vor diesem Hintergrund sei 2023 ein „ausgeglichenes Ergebnis” zu erwarten, machte Pfeiffer deutlich.
Positiv auf die Einnahmen schlagen sich die stabile Beschäftigung und höhere Tarifabschlüsse angesichts der hohen Inflation nieder, sagte die GKV-Chefin. Zugleich sei zu erwarten, dass Lohnsteigerungen auch zu Kostensteigerungen in den Verhandlungen mit Leistungserbringern führen. Vorerst gebe es aber „kein solides Gefühl”, wie sich die Ausgaben 2023 entwickeln. Insgesamt könnte eine etwas günstigere Finanzentwicklung in diesem Jahr zur Stützung für 2024 beitragen.
Mit Blick auf möglicherweise vorstellbare Leistungskürzungen für Versicherte sagte Pfeiffer: „Ich glaube nicht, dass es sinnvoll ist, das Thema jetzt zu diskutieren.” Generell könne man sich sicherlich darüber unterhalten, ob alle Behandlungen sinnvoll und notwendig seien und auch eine wissenschaftlich nachgewiesene Wirkung hätten.
Krankenkassenchef fordert Streichung der zahnärztlichen Versorgung aus Leistungskatalog
Der Chef der IKK-Krankenkasse, Ralf Hermes, hatte dem „Handelsblatt” gesagt, Leistungskürzungen dürften „kein Tabu” sein. „Der Lage angemessen wäre es, die komplette zahnärztliche Versorgung aus dem Leistungskatalog zu streichen.” Dieser Bereich sei stark durch Vorbeugung beeinflussbar. „Wer sich im Wesentlichen zweimal am Tag ordentlich die Zähne putzt, bekommt fast keine Probleme.” Ausnahmen könnten unverschuldete Unfälle und schwere Erkrankungen sein, die weiterhin von der Kasse übernommen werden sollten. „Versicherten bliebe die Möglichkeit, sich privat abzusichern.”
Lauterbach erteilte dem eine Absage. „Zahnbehandlungen bleiben eine Kassenleistung”, schrieb er bei Twitter. „Wir können Geld sparen, wenn wir überflüssige Operationen vermeiden oder mehr notwendige Eingriffe ambulant erbringen. Gesundheitsminister müssen Lobbygruppen konfrontieren, nicht die Patienten und Bürger.”
Im vergangenen Jahr verbuchten die Kassen den Angaben zufolge einen Überschuss von 4,7 Milliarden Euro. Die Leistungsausgaben wuchsen um 3,8 Prozent auf 274,1 Milliarden Euro. Größter Einzelposten waren Klinikbehandlungen mit 87,5 Milliarden Euro. Die genaue Höhe des Zusatzbeitrags für die Versicherten legen die Kassen jeweils selbst fest - sie können vom Schnitt abweichen. Der gesamte Beitrag umfasst daneben den allgemeinen Satz von 14,6 Prozent des Bruttolohns.