Nach Ansicht des Magdeburger NSU-Experten Matthias Quent spielen für die Radikalisierung rechtsextremer Gewalttäter zunehmend andere Faktoren eine Rolle als bei den Terroristen Uwe Mundlos, Beate Zschäpe und Uwe Böhnhardt. Die Radikalisierungsdynamiken seien nicht mehr so stark durch die neo-nazistische Skinheadszene und -subkultur geprägt, sagte Quent der Deutschen Presse-Agentur. „Stattdessen haben andere Einflüsse an Bedeutung gewonnen, Ideologien der Neuen Rechten mit ihren verschwörungsideologischen und rassistischen Vorstellungen eines großen Bevölkerungsaustausches.“ Dies habe etwa bei den Anschlägen in Halle, Hanau und in Christchurch (Neuseeland) eine Rolle gespielt.
Dem „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) werden von 2000 bis 2007 zehn Morde zugerechnet - an Kleinunternehmern ausländischer Herkunft und an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Am 4. November 2011 töteten sich Mundlos und Böhnhardt in einem Wohnmobil in Eisenach (Thüringen) selbst. Damit flog die Terrorzelle NSU auf. Am 11. Juli 2018 wurde Zschäpe, die einzige Überlebende des Täter-Trios, als Mittäterin zu lebenslanger Haft verurteilt.
Quent sagte, außerdem komme den sozialen Netzwerken heute bei der Radikalisierung eine große Bedeutung zu. Er sprach von der Ausbildung einer vor allem über das Internet vernetzten „globalen Hassgemeinschaft“, die sich an Vorbildtätern orientiere und wiederum Täter hervorbringe, die teils allein handelten.
Mundlos schon zu DDR-Zeiten radikal gewesen
Quent ist Professor für die Soziologie der Sozialen Arbeit an der Hochschule Magdeburg-Stendal und Gründungsdirektor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena (IDZ). Seine Dissertation schrieb er über die Radikalisierung des NSU. Für Böhnhardt und Zschäpe spielten demnach unter anderem auch individuelle Faktoren wie eine berufliche Perspektivlosigkeit nach der Wiedervereinigung eine Rolle. Beide hätten bereits Delikte begangen, bevor sie rechtsradikal wurden. „Bei Mundlos war das etwas anders. Der war schon zu DDR-Zeiten antisemitisch und rechtsextrem politisiert und hat die Gruppe, das Milieu mit radikalisiert“, sagte Quent.
Er wies auch auf das Erstarken von flüchtlingsfeindlichen Bewegungen in den 1990er-Jahren hin, „aus denen die spätere Gruppe eine Rechtfertigung, einen Ansporn gesehen hatte“. Zugleich sei der NSU aber auch eine Reaktion auf die damalige Politik gewesen. „Es wurden viele rechtsextreme Organisationen damals verboten und der harte Teil der Szene hat den bewaffneten Kampf im Untergrund schon lange vor dem Untertauchen des sogenannten Trios aus Jena diskutiert“, sagte er.
27 Okt. 2021
dpa
Ähnliche Nachrichten
Rechtsrock-Konzert in Neumünster von Polizei verhindert
Polizei verhindert Rechtsrock-Konzert in Neumünster: Nachdem rund 400 Teilnehmer aufgefordert wurden, das Gelände zu verlassen, griffen einige Rechtsradikale die Einsatzkräfte mit Stühlen und Bierdosen an. Bundespolizisten aus Hamburg rückten an.
14 Bundesländer passen Abschlussprüfungen nochmals an
Fast alle Bundesländern wollen laut einem Bericht die Abschlussprüfungen an den Schulen weiter erleichtern. Grund dafür ist der Unterrichtsausfall während der Pandemie. Hessen hat sich noch nicht entscheiden. Rheinland-Pfalz geht einen anderen Weg.
Selbe Kategorie
Worüber möchten Sie mehr erfahren?
Beliebt
Iran: Rätselhafte Vergiftungswelle beunruhigt die Bevölkerung
Bei einer landesweiten Anschlagswelle im Iran wurden Hunderte Schulmädchen vergiftet. In Regierungskreisen werden Extremisten dahinter vermutet. Eine offizielle Stellungnahme aus Teheran steht aber noch aus. Die Wut und Sorge der Eltern wächst.