Die AfD hat die vorderen Spitzenplätze auf ihrer Kandidatenliste für die Europawahl ausnahmslos mit Politikern besetzt, die Europa in eine „Festung“ gegen Migranten verwandeln wollen. Diese brauche man „zum Schutz unserer Heimat, und das machen wir gemeinsam mit unseren europäischen Partnern“, sagte Co-Parteichefin Alice Weidel am Samstag auf der Europawahlversammlung der Partei in Magdeburg. Nach Einschätzung des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, wurden bei der Veranstaltung teils „rechtsextremistische Verschwörungstheorien“ verbreitet.
Mehrere Bewerber nannten als Vorbild Viktor Orban, den rechtspopulistischen ungarischen Ministerpräsidenten. Der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Marc Jongen setzte sich am Sonntag im Wettbewerb um den sechsten Platz durch. Er begründete seinen Wunsch, ins Europäische Parlament zu wechseln, auch damit, dass es ihn „in die heiße Zone des Kulturkampfs“ ziehe. Jongen sagte, Orban wolle in Europa für Ordnung sorgen. Das sei nicht extremistisch.
Der sächsische Europaabgeordnete Maximilian Krah war mit 65,7 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidaten der AfD gewählt worden. Seine Kandidatur erhielt auch Unterstützung vom Rechtsaußen-Lager der Partei. Andreas Otti, ein weitgehend unbekannter Kandidat aus Berlin, erhielt 25,2 Prozent. Gegen beide Kandidaten stimmten 9,1 Prozent der Delegierten.
Umstrittener Weg von Maximilian Krah zur Europawahl
Krah ist in der AfD umstritten. Im EU-Parlament gab es seinetwegen mehrfach Ärger. Die rechtsnationale Fraktion Identität und Demokratie (ID) hatte ihn zu Beginn des Jahres für drei Monate suspendiert. Dabei ging es um den Vorwurf, dass Krah die Vergabe eines PR-Auftrags der Fraktion manipuliert haben soll. Seine Mitgliedschaft in der Fraktion war 2022 schon einmal für mehrere Monate ausgesetzt worden. Damals wurde ihm vorgeworfen, dass er im französischen Präsidentschaftswahlkampf nicht Marine Le Pen von der ID-Mitgliedspartei Rassemblement National, sondern öffentlich die Partei des Rechtsextremen Éric Zemmour unterstützte.
Seinen parteiinternen Gegnern warf Krah vor, sie hätten eine monatelange anonyme Schmutzkampagne gegen ihn geführt. Der Jurist ist seit 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments. Bis 2016 war er Mitglied der CDU. 2022 kandidierte er in Dresden erfolglos für das Amt des Oberbürgermeisters.
Platz zwei sicherte sich der bayerische Bundestagsabgeordnete Petr Bystron. In seiner Bewerbungsrede wetterte er gegen „Globaliste“ und warnte vor einer angeblich drohenden Bargeldabschaffung. Er sagte: „Das Schlimmste, die Migrantenquoten, die zwangsweise Zuweisung von Migranten, das ist ein Angriff auf alles, was uns lieb ist, unsere Kultur, unsere Religion, ja, unsere Heimat.“
Mit einer ähnlichen Tonalität landete der Thüringer Landtagsabgeordnete René Aust auf dem dritten Listenplatz. Als Kandidat vorgeschlagen wurde er von Björn Höcke, dem Vorsitzenden des als rechtsextremistische Bestrebung eingestuften Thüringer Landesverbandes. Aust sagte, die europäische Zivilisation sei durch „Masseneinwanderung“ in Gefahr. Er erhielt 67,8 Prozent Zustimmung.
Das weitere Aufstellungsverfahren gestaltete sich zäh. Mehrfach erhielten die Bewerber nicht die erforderliche Mehrheit, so dass für einzelne Plätze mehrere Wahlgänge notwendig waren. Die Europaabgeordnete Christine Anderson sicherte sich Platz vier. Sie sprach sich für einen sofortigen Austritt Deutschlands aus der Europäischen Union aus. Platz fünf ging an Alexander Jungbluth aus Rheinland-Pfalz, der gegen „Multikulti“ wetterte.
Irmhild Boßdorf, die auf Rang neun landete, warb in ihrer Rede mit einem Schlagwort der Identitären Bewegung um Stimmen. Die Politikerin aus Nordrhein-Westfalen forderte eine „millionenfache Remigration“ und sagte, eher als den menschengemachten Klimawandel sollten die Deutschen den „menschengemachten Bevölkerungswandel“ fürchten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz führt die Identitäre Bewegung in seinem aktuellen Bericht im Kapitel zu Rechtsextremismus auf. Das Kölner Verwaltungsgericht hatte 2022 festgestellt, in der „massiven ausländerfeindlichen Agitation“ der Bewegung komme „eine Missachtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte zum Ausdruck. Aussagen wie „Remigration“oder „Bevölkerungsaustausch stoppen“ seien ausländer- und islamfeindlich.
Zwar seien Bewerberliste und Wahlprogramm noch nicht final abgestimmt, sagte Verfassungschutzpräsident Haldenwang der Deutschen Presse-Agentur. „Doch bereits jetzt zeigt sich, dass Personen, die in der Vergangenheit mit Positionen aufgefallen sind, die nicht mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind, der AfD-Delegation im kommenden Europäischen Parlament angehören werden.“ Haldenwang sagte: „Die bisherige Europawahlversammlung der AfD, die wir als Verdachtsfall bearbeiten, belegt einmal mehr unsere Einschätzung, dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen bestehen, deren Einfluss weiter zunimmt.“
Der AfD-Bundesvorstand hat das Ziel aufgerufen, insgesamt mindestens 30 Kandidaten zu wählen. Bis Sonntagabend wurden die ersten 15 Plätze besetzt, danach wurde die Europawahlversammlung unterbrochen. Fortgesetzt werden soll die Kandidatenaufstellung in der sachsen-anhaltischen Landeshauptstadt dann am kommenden Freitag. Das Wahlprogramm soll erst nach der Listenaufstellung beschlossen werden.
Debatte über EU-Reform und Dexit-Forderung
Möglicherweise könnte das Programm erst bei einer zusätzlichen Versammlung diskutiert werden, die spätestens im Januar stattfinden müsste. Erst dann wird feststehen, ob die AfD diesmal mit der Forderung antritt, die Europäische Union radikal zu reformieren, so dass wieder mehr Entscheidungen national getroffen werden. Es könnte sich aber auch das „Dexit“-Lager durchsetzen, das eine Austritt Deutschlands aus der EU befürwortet. Ein weiterer Streitpunkt dürfte die Haltung zur Nato sein.
Das Bündnis „Solidarisches Magdeburg“ protestierte am Samstag gegen die Versammlung der AfD. Ein Demonstrationszug mit mehreren Hundert Teilnehmern formierte sich in Magdeburg. Am Ende versammelten sich nach Angaben der Polizei bis zu 2000 Demonstranten. Sie zogen in Richtung Messegelände und trugen Transparente mit Slogans wie „Gegenhalten! Solidarisch gegen die rechte Hetze der AfD“. „Es ist alles friedlich geblieben“, sagte ein Polizeisprecher.
Höcke forderte am Rande der Versammlung die Abschaffung der Europäischen Union in ihrer jetzigen Form. „Es gibt viele Gründe, die EU abzulehnen, sie bringt Europa nicht weiter“, sagte er im phoenix-Interview. „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann.“ Höcke plädierte für einen neuen europäischen Staatenbund.