Im Untersuchungsausschuss des Bundestags haben frühere Geheimdienstkoordinatoren der Bundesregierung über ihre Kontakte zum Skandalkonzern Wirecard berichtet. Ex-Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer nahm dabei auch einen mutmaßlichen Fluchthelfer des untergetauchten Wirecard-Managers Jan Marsalek in Schutz. Der ehemalige Mitarbeiter des österreichischen Verfassungsschutzes habe ihm erzählt, er habe er nicht gewusst, dass Marsalek sich habe absetzen wollen. Marsalek flog nach bisherigen Erkenntnissen kurz vor der Insolvenz Wirecards im vergangenen Sommer aus der Nähe von Wien in die belarussische Hauptstadt Minsk. Bei dem Flug seien alle nötigen Papiere vorgelegt und auch das Ziel der Privatmaschine angegeben worden, sagte Schmidbauer. Wie Marsalek von Minsk aus vorging, wisse der österreichische Ex-Geheimdienstmann nach eigenen Angaben nicht. Das glaube er ihm auch, betonte Schmidbauer. Die Wiener Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehrere mutmaßliche Fluchthelfer Marsaleks, darunter auch einen FPÖ-Politiker. Dessen Anwalt räumte ein, sein Mandant habe Marsalek geholfen, den Flug nach Minsk zu buchen. Strafbar habe er sich damit aber nicht gemacht, weil damals noch kein Haftbefehl gegen Marsalek vorgelegen habe. Der ehemalige Wirecard-Vorstand Marsalek gilt als Schlüsselfigur des Bilanzskandals. Die Münchner Staatsanwaltschaft lässt international nach dem österreichischen Manager suchen.
Marsalek prahlt damit die Formel des Nervengifts Nowitschok zu besitzen
Schmidbauer berichtete auch von einem Treffen mit Marsalek im Jahr 2018. Es habe mehrere Punkte gegeben, „die mich nicht nur interessierten, die auch die Sicherheit unseres Landes betrafen“, sagte er. So habe ihn etwa „elektrisiert“, dass Marsalek damit geprahlt habe, die Formel des Nervengifts Nowitschok zu besitzen. Er habe sich bemüht, mehr von ihm zu erfahren, berichtete Schmidbauer. „Das gelang nicht.“ Die deutschen Nachrichtendienste hatten nach Erkenntnissen des Ausschusses nur wenige Informationen über den früheren Dax-Konzern. Das kommentierte Schmidbauer mit den Worten: „Jeder Nachrichtendienst, der etwas auf sich gehalten hat, muss Marsalek auf dem Schirm gehabt haben.“ Auch der SPD-Finanzpolitiker Jens Zimmermann hält es für „überraschend, wie wenig unsere Nachrichtendienste über Wirecard wussten“. Zuvor hatte Sonderermittler Wolfgang Wieland dem Ausschuss in geheimer Sitzung über seine Erkenntnisse berichtet. Es gebe keine belastenden Informationen, wonach deutsche Nachrichtendienste irgendwie mit Wirecard kooperiert hätten. Der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar berichtete, die Informationen der deutschen Dienste über Wirecard seien weitestgehend „unüberprüfte Hinweise von befreundeten Nachrichtendiensten“ gewesen. Es stelle sich die Frage, ob die deutschen Nachrichtendienste so gut arbeiteten, wie man es erwarten würde. Unter anderem gebe es im Zusammenhang mit dem Fall Wirecard Hinweise darauf, dass österreichische Nachrichtendienste Quellen in Deutschland geführt hätten, sagte Toncar. „Will da im Kanzleramt nicht vielleicht mal jemand zum Telefon greifen und in Österreich anrufen und fragen, was da eigentlich los ist?“, fragte Zimmermann.
„Eine bemerkenswerte Häufung von Zufällen“
Der Finanzpolitiker der Grünen, Danyal Bayaz, kritisierte, die Bundesregierung habe Informationen über eine Zusammenarbeit mit Wirecard zurückgehalten. In mehreren deutschen Sicherheitsbehörden seien Kreditkarten des Unternehmens zum Einsatz gekommen - was man dem Ausschuss lange nicht offengelegt habe. „Angesichts der Kontakte von Jan Marsalek zu ausländischen Geheimdiensten stellt sich die Frage, ob dabei deutsche Sicherheitsinteressen verletzt wurden“, betonte er.
Der frühere Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche bestätigte im Ausschuss, er sei als Lobbyist für Wirecard tätig gewesen. Der Konzern habe die Kontakte zur Bundesregierung verbessern wollen. Er selbst habe auf die Arbeit der Finanzaufsicht Bafin vertraut und keinen Grund gesehen, sich nicht zu engagieren.
Dass zwei ehemalige Geheimdienstkoordinatoren sich von Wirecard hätten einspannen lassen, sei „eine bemerkenswerte Häufung von Zufällen“, erklärte Bayaz. Der Grünen-Politiker und der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk von der AfD sprachen sich für strengere Lobby- und Transparenzregeln für ehemalige Spitzenbeamte aus.