Der mutmaßliche Täter hinter dem Anschlag vom Magdeburger Weihnachtsmarkt ist als islamfeindlicher pro-israelischer Aktivist bekannt. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur bezeichnet sich der 50-jährige Arzt, der aus Saudi-Arabien stammt und seit 2006 in Deutschland lebt, selbst als Ex-Muslim. Er war nach der Todesfahrt festgenommen worden. Die Polizei kennt nach eigenen Angaben noch keine Hintergründe zur Tat - geht aber von einem Einzeltäter aus. Kanzler Olaf Scholz, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) und Bundesjustizminister Volker Wissing wollen heute nach Magdeburg kommen.
Vorwürfe im Netz
Der Mann wird verdächtigt, mit einem Auto am frühen Freitagabend auf einem Weihnachtsmarkt in der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt in eine Menschengruppe gefahren zu sein. Nach Angaben von Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) starben mindestens zwei Menschen. Mehr als 60 Menschen wurden verletzt. Viele Fragen sind offen - allen voran nach den Motiven des festgenommenen Tatverdächtigen. „Wir ziehen alles in Betracht“, sagte eine Sprecherin der Polizei am Morgen.
In sozialen Medien und Interviews erhob der Tatverdächtige zuletzt teils wirr formulierte Vorwürfe gegen deutsche Behörden. Er hielt ihnen vor, nicht genügend gegen „Islamismus“ zu unternehmen. Nachdem er vor Jahren mit seiner Unterstützung für saudische Frauen, die aus ihrem Heimatland fliehen, an die Öffentlichkeit gegangen war, schrieb er später auf seiner Website in englischer und arabischer Sprache: „Mein Rat: Bittet nicht um Asyl in Deutschland.“ Zudem soll er auf seinen Social-Media-Kanälen pro-israelische Aussagen geteilt und seine Sympathie für die AfD zum Ausdruck gebracht haben.
Haseloff kündigte eine umfassende Aufarbeitung der Attacke an. Er sprach von einem „menschenverachtenden Anschlag“. „Eine solche Tragödie an einem Ort, an dem Familien und Freunde voller Vorfreude auf das Fest gemeinsam schöne Stunden verbringen wollten, macht fassungslos.“ Die Polizei äußerte sich zunächst zurückhaltend zu der Frage, ob sie die Tat als Anschlag wertet. Man sei noch in der Klärung, hieß es.
Scholz und Faeser in Magdeburg erwartet
Scholz, Faeser und Wissing wollen heute in die Landeshauptstadt nach Sachsen-Anhalt kommen. Am Abend soll es im Dom eine Gedenkfeier geben. Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt ordnete bis Montag Trauerbeflaggung an allen Dienstgebäuden des Landes an.
Am Morgen nach der Tat war der Weihnachtsmarkt komplett abgeriegelt, die Buden und der Baum waren aber noch erleuchtet. Blumensträuße und Kerzen wurden vor der Johanniskirche abgelegt. Nur vereinzelt waren nach Angaben eines dpa-Reporters Passanten unterwegs.
Der Tatverdächtige wurde nach Angaben aus der Nacht verhört. Weiterhin gehen die Ermittlungsbehörden von einem Einzeltäter aus. Hinweise, nach denen ein zweites, möglicherweise tatrelevantes Auto in der Innenstadt gesichtet wurde, hätten sich nicht bestätigt, teilte die Polizei auf X mit. Es würden unter anderem Durchsuchungen durchgeführt, sagte eine Sprecherin. Am Morgen sagte sie, es laufe eine Durchsuchung in Bernburg.
400 Meter über das Gelände
Der 50-Jährige war am Tatort von Einsatzkräften gestellt und festgenommen worden. Der Verdächtige sei Arzt, lebe und arbeite in Bernburg, sagte Haseloff. Der Täter raste seinen Angaben nach mit einem Leihwagen in die Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt. Nach Angaben der „Bild“ unter Berufung auf die Polizei erstreckte sich die Fahrt auf dem Gelände über 400 Meter.
Haseloff sagte am Abend, der Kanzler werde „mit uns die Lage bewerten“ und Maßnahmen besprechen, die notwendig seien. Bundesinnenministerin Faeser hatte zuletzt wiederholt zu Wachsamkeit bei Weihnachtsmarktbesuchen aufgerufen. Konkrete Gefährdungshinweise gebe es nicht, hatte sie Ende November gesagt.
Die AfD-Landtagsfraktion forderte eine Sondersitzung des Innenausschusses - auch zur Aufklärung möglicher Verfehlungen oder Versäumnisse. Es sei zu hinterfragen, ob das Sicherheitskonzept des Weihnachtsmarkts so aufgestellt worden sei, dass man die Tat hätte verhindern können, sagte der innenpolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Matthias Büttner.
Video soll Festnahme des Verdächtigen zeigen
Ein Handyvideo soll die Festnahme des Verdächtigen zeigen. In dem Clip ist zu sehen, wie ein Polizist seine Waffe auf den Verdächtigen richtet und ihm zuruft, sich hinzulegen: „Die Hände auf den Rücken!“ und „Bleib liegen!“ Der Mann legt sich neben einem schwarzen - sichtbar beschädigten - Auto auf den Boden und befolgt die Anweisungen. Schließlich kommt Verstärkung, mehrere Polizisten springen aus dem Einsatzwagen und umkreisen den liegenden Verdächtigen.
Der AfD-Politiker Tobias Rausch wurde nach eigenen Angaben selbst Zeuge der Attacke auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt. „Wenn man das miterlebt hat, das war erschreckend, wie die Panik ausgebrochen ist, wie die Leute umgefallen sind“, schilderte Rausch seine Eindrücke am Morgen danach vor Pressevertretern in Magdeburg. „Auf einmal hat man ein dumpfes Geräusch gehört, da waren schon Schreie, Panik ist ausgebrochen.“ Ein Motor habe laut aufgeheult, Scheinwerfer seien auf ihn und seine Begleitung zugekommen. „Meine Begleitung sagte geistesgegenwärtig, der fährt auf uns zu, rennt weg.“
Rund acht Jahre nach Berliner Weihnachtsmarktanschlag
Fast auf den Tag genau vor acht Jahren, am 19. Dezember 2016, war in Berlin ein Todesfahrer mit einem entführten Lastwagen auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz gerast. Dabei wurden 12 Menschen getötet, das 13. Opfer starb 2021 an den Folgen. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der Attentäter floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde. Die Berliner Polizei erhöht nun ihre Präsenz auf den Berliner Weihnachtsmärkten nach der tödlichen Attacke auf den Magdeburger Markt. Das teilte Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) mit.