von Till C. Waldauer
Wer den CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet wähle, unterstütze damit Vertraute desselben, „für die Sex vor der Ehe ein Tabu ist.“ Was an dieser privaten Überzeugung ein Problem sein soll, verrät die SPD nicht. Sie hält diese in allen Weltreligionen und zahlreichen anderen weltanschaulichen Systemen vertretene Position aber offenbar für so problematisch, dass sie auf diese in einem Wahlspot zur Bundestagswahl Bezug nimmt. Dafür steht die Partei nun in der Kritik.
Ex-CDU-Mitglied steht hinter dem Wahlspot
Am Mittwoch der Vorwoche stellte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil im Berliner Kino Delphi Lux die Wahlkampagne der SPD zur Bundestagswahl vor. Neben der positiven Darstellung ihres eigenen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, der zuletzt in Umfragen einen deutlichen Popularitätssprung zu verzeichnen hatte, hat die Agentur „BrinkertLück Creatives“ auch einen Spot gegen den CDU-Konkurrenten Armin Laschet produziert. Raphael Brinkert, Mitinhaber der Werbeagentur, war früher CDU-Mitglied und zuletzt an der CDU-Kampagne zur Europawahl 2019 beteiligt.
Mittels russischer Matroschka-Puppen wird darin erläutert, warum mit der Wahl von Laschet eine Unterstützung problematischer Positionen verbunden wäre. Neben politischer Kritik an Friedrich Merz, der „Reiche reicher und Arme ärmer“ mache, oder Hans-Georg Maaßen, der die Partei nach rechts rücke, wurde auch Laschets Staatskanzleichef Nathanael Liminski angegriffen.
Ihm wurden jedoch keine Vorwürfe gemacht, die sich auf politische Entscheidungen bezogen hätten – er wurde dafür angegriffen, dass er sich 2007 in einer Talkshow zu seinem katholischen Glauben bekannt hatte.
Hassparolen auf Twitter
Der Spot blieb nicht ohne Wirkung, auf Twitter wurde der Name Liminskis zum Kristallisationspunkt von Hass- und Schmähbeiträgen. Diese ließen erkennen, dass religiöse Pluralität in Teilen der deutschen Gesellschaft ein Konzept darstellt, das auch mehr als 70 Jahre nach Inkrafttreten des Grundgesetzes immer noch nicht restlos verinnerlicht wurde.
„Ausgerechnet die Sozialdemokraten, die sich doch eigentlich besonders viel auf ihre politische Kultur zugutehalten und immer wieder vor einer Verrohung der Debatten warnen, sind es nun, die einen politischen Gegner wegen seiner privaten religiösen Überzeugungen attackieren“, bemerkt Lucas Wiegelmann in der „Welt“.
Von Notz (Grüne): Angriff auf religiöse Überzeugungen „unterirdisch“
Gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ weist der Vorsitzende der NRW-Landesgruppe der CDU im Bundestag, Günter Krings, darauf hin, es sei in dieser Form ein Novum in der Nachkriegszeit, dass „höchst persönliche Themen und religiöse Überzeugungen zum Gegenstand politischer Angriffe gemacht werden.“
Aber auch aus den Reihen der Grünen kommt Kritik. Ihr früherer religionspolitische Sprecher, Volker Beck, erklärte, es sei „völlig inakzeptabel, den Glauben von jemandem auf diese Weise abzuwerten.“ Sein Parteikollege, der Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz, schrieb auf Twitter:
„Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit anzugreifen, ist exakt so unterirdisch wie sie wegen ihrer Nichtzugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft anzugreifen. Wir leben in einem pluralen und liberalen Rechtsstaat. Die Religionsfreiheit ist konstituierend.“
Staatsrechtler warnt vor Unterminierung der Religionsfreiheit
Im „Tagesspiegel“ erklärte der Staats- und Kirchenrechtler Hans Michael Heinig von der Universität Göttingen, eine so gezielte Politisierung religiöser Überzeugungen sei „ein Paradigmenwechsel, der auch den christlichen Traditionsabbruch reflektiert.“ Die SPD kokettiere damit, dass Katholizismus strengerer Observanz „inzwischen in weiten Teilen der Gesellschaft negativ besetzt“ sei. Dies könne „die Religionsfreiheit und die hinreichende Differenzierung zwischen Religion und Politik unterspülen.“
Benjamin Höhne vom Berliner Institut für Parlamentarismusforschung spricht mit Blick auf den SPD-Spot von einer „bisher eher ungewöhnlichen Kampagnentechnik, zumal sie nicht von der rechtspopulistischen AfD stammt.“
Religiöse Frömmigkeit als einigendes Feindbild
Gezielte Angriffe auf politische Mitbewerber aufgrund ihrer religiösen Überzeugung waren lange Zeit eine weitgehend exklusive Domäne rechtsextremer Parteien. So waren es Formationen wie die NPD oder die mittlerweile nicht mehr existente DVU, die mehrfach versuchten, politische Gegner durch Hinweise auf jüdische Wurzeln als amtsunwürdig darzustellen.
In der heutigen Zeit ist es vor allem die AfD, die durch bewusste Problematisierung religiöser Überzeugungen und Zugehörigkeiten versucht, das politische Klima zu radikalisieren. Deren Politiker und Influencer haben beispielsweise in der Vergangenheit mehrfach die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) als „Quotenmigrantin“ oder „islamische Sprechpuppe“ bezeichnet.
Die Einforderung eines positiven Verständnisses von sexueller Freizügigkeit als Ausdruck eines neuen deutschen Selbstbewusstseins stellt jedoch schon seit längerem ein verbindendes Element zwischen Teilen der SPD und der AfD dar. Zumal dieses in beiden Fällen mit aggressiver Stimmungsmache gegen religiöse Gemeinschaften einhergeht, in denen man diesem Mindset mit Vorbehalten begegnet.
Die Rechtspopulisten plakatieren in jedem Wahlkampf „Bikini statt Burka“ als Konsequenz des Grundsatzes „Unser Land – unsere Regeln“. Demgegenüber waren es SPD-Funktionäre wie Neuköllns Altbezirkschef Heinz Buschkowsky, die an die Adresse muslimischer Bürger gerichtet meinten, diese hätten „hier nichts zu suchen“, wenn ihnen „Deutschland zu unmoralisch“ wäre. In einem anderen Interview bekannte Buschkowsky, dass ihm „weder der Islam noch der Katholizismus ans Herz gewachsen“ seien.