Die AfD sieht die Europäische Union als gescheitertes Projekt und will eine Neugründung als „Bund europäischer Nationen“. Dieses Ziel setzt die Partei im Programm für die Europawahl 2024, das ein Parteitag in Magdeburg am Sonntag einstimmig beschloss. Es steht für eine radikale Abkehr von der EU, wie sie Deutschland mitgegründet und seit Jahrzehnten mitgestaltet hat. Für die AfD gilt die Haltung indes als gemäßigt: Die Parteispitze verhinderte noch weitreichendere Forderungen zur Auflösung der EU und zur Abkehr von der Nato.
„Wir haben hart gestritten, aber am Ende steht bei uns der Konsens“, sagte Parteichef Tino Chrupalla. Es sei ein Programm, hinter dem alle stehen könnten, ergänzte seine Co-Chefin Alice Weidel. Die AfD zeige, dass sie „erwachsen geworden“ sei, meinte Europa-Spitzenkandidat Maximilian Krah.
Während der Europawahlversammlung haben etwa 600 Delegierte über zwei Wochenenden hinweg intensiv darüber beraten, wie die Kandidatenliste für die kommende Europawahl im nächsten Jahr zusammengestellt werden soll. Ursprünglich sollten 30 Bewerberinnen und Bewerber für die EU-Institution nominiert werden, die die AfD als undemokratisch brandmarkt und am liebsten abschaffen will. Dort sitzen derzeit neun AfD-Abgeordnete.
Weil die Partei in Deutschland im Umfragehoch ist, vereinbarten die Delegierten kurzfristig, sogar 35 Personen auf die Wahlliste zu nehmen - sicher ist sicher. Das wären ein Drittel der Deutschland zustehenden 96 Mandate. Erst am späten Samstagabend waren alle 35 Listenplätze gefüllt. In langen Vorstellungsrunden plädierten viele Bewerberinnen und Bewerber für ein „Ende der EU“ und einen deutschen Austritt, den sogenannten Dexit.
Radikale Forderungen abgeschwächt wegen fehlender Mehrheitsfähigkeit
Die Parteispitze um Weidel und Chrupalla wollte so radikale Forderungen jedoch nicht festhalten, sind sie doch in Deutschland laut Umfragen nicht mehrheitsfähig. Gerungen wurde bis zuletzt vor allem um die Präambel des Wahlprogramms. In einem Entwurf vom Juni war noch von einer „geordneten Auflösung“ der EU die Rede. Ein Antrag des Lagers um den thüringischen Landesvorsitzenden Björn Höcke wollte zudem Formulierungen einbringen, die eine Abkehr von der Nato nahelegten. Beides wurde abgeschwächt.
Der Kompromiss gelang nach Weidels Worten erst in der Nacht zum Sonntag. Die Programmarbeit gehöre zum Maschinenraum der Partei, „in dem man sich die Hände richtig schmutzig machen kann“, formulierte die Parteichefin und dankte den Beteiligten. „Das Herzstück eines Programms ist die Präambel.“ Weidel schlenderte dann am Sonntag sehr erleichtert lächelnd durch die Delegiertenreihen in der Magdeburger Messehalle.
EU- und Euroreform statt sofortiger Abschaffung
Denn auch Spitzenkandidat Krah trug die neue Fassung mit und ging auf Distanz zu radikaleren Forderungen. Die EU und der Euro müssten verändert, aber nicht sofort abgeschafft werden, sagte Krah. Man wisse doch selbst, dass ein Hopplahopp-Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung enorme Kosten verursachen würde. Auch die „Nato ist zum derzeitigen Zeitpunkt völlig alternativlos“, sagte er.
In der Präambel spricht die AfD von der Idee eines „Europas der Vaterländer“ und wiederholt die Ablehnung des Euro. Die Rede ist von einem „vollständigen Versagen der EU in allen Bereichen, die Europa existenziell betreffen“. Genannt werden unter anderem die Migrations- und die Klimapolitik, die grundsätzlich abgelehnt wird. Die EU-Sanktionen werden erneut kritisiert, ohne Russland zu nennen.
Knackpunkt war dem Vernehmen nach die Haltung zur Nato. Nun formuliert die Präambel: „Jegliche Dominanz außereuropäischer Großmächte in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik lehnen wir ab.“ Europa solle seine Verteidigungsfähigkeit schrittweise in die eigene Hand nehmen. Der Delegierte Hans Neuhoff sagte dazu: „Europa muss sich von jedem Großmachtanspruch emanzipieren, die Geschicke Europas lenken zu wollen, auch von den USA. Wenn Europa das nicht tut, droht Apolarität und Chaos.“
Europäische Gemeinschaft mit starken Nationalstaaten angestrebt
Als Aufgaben für den gewünschten „Bund europäischer Nationen“ nennt die AfD einen gemeinsamen Markt, den Schutz der Außengrenzen gegen Zuwanderung, die strategische Autonomie im sicherheitspolitischen Handeln und die Wahrung „verschiedener Identitäten“ in Europa. Parteichef Chrupalla sagte im ZDF-Sommerinterview: „Wir wollen uns mit Nationalstaaten, mit starken Nationalstaaten in einer neuen europäischen Gemeinschaft verbünden und die Vorteile der EU in den Vordergrund stellen.“ Man wolle „nicht der Zahlmeister für ganz Europa“ sein.
Der seit vier Monaten scheinbar ungebremste Höhenflug der AfD bekam durch eine neue Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa einen leichten Dämpfer. Die Partei kommt im „Sonntagstrend“ des Instituts im Auftrag der „Bild am Sonntag“ auf 21 Prozent - einen Punkt weniger als in der Vorwoche. Wahlumfragen sind aber generell mit Unsicherheiten behaftet.
Der Linken-Politiker Bodo Ramelow kritisierte die öffentliche Dauerdebatte über die AfD. „In der Zwischenzeit scheint Sachpolitik kaum noch stattzufinden“, sagte Ramelow der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. „Wenn es nur noch darum geht, „Wie hältst du es mit der AfD?“, erleben wir meiner Meinung nach eine gefährliche Entpolitisierung.“ Das sei auch mit Blick auf die drei Landtagswahlen 2024 in Thüringen, Sachsen und Brandenburg ein Problem. In diesen Bundesländern ist die AfD in Umfragen besonders stark.