In einem Interview lehnte Bundeskanzler Olaf Scholz eine rasche Aufnahme der Ukraine in die NATO deutlich ab. Scholz erklärte, dass „ein Land, das im Krieg ist, gar nicht Nato-Mitglied werden kann“. Deutschland zählt zu den führenden Ländern, die dem NATO-Beitritt der Ukraine mit Skepsis begegnen.
Laut der Zeitschrift Politico zählen neben Deutschland auch die USA zu den Hauptgegnern eines schnellen NATO-Beitritts der Ukraine. Neben Deutschland und den USA zeigen auch NATO-Mitglieder wie Ungarn und die Slowakei Widerstand gegen eine Aufnahme der Ukraine. Die ablehnende Haltung dieser Länder gegenüber einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine hat zwei Hauptgründe. Der erste ist Artikel 5 der NATO. Der zweite Grund liegt darin, dass einige Länder innerhalb der NATO historisch, wirtschaftlich und politisch gute Beziehungen zu Russland pflegen, zu denen Ungarn und die Slowakei gehören.
Artikel 5 der NATO und Deutschlands Vorbehalte
Artikel 5, zusammengefasst als „Einer für alle, alle für einen“, ist ein Grundprinzip der NATO und besagt, dass ein Angriff auf ein NATO-Mitglied als Angriff auf alle Mitgliedstaaten gilt. Die Aufnahme eines Landes, das sich im Krieg befindet, birgt daher das Risiko, alle NATO-Staaten in den Konflikt zu ziehen. Sollte die Ukraine NATO-Mitglied werden, könnten die aktuellen Kriegshandlungen die gesamte NATO-Allianz direkt in den Konflikt verwickeln. Viele Experten sehen darin den möglichen Auslöser für einen Dritten Weltkrieg. Der slowakische Premierminister Robert Fico bezeichnete dieses Szenario sogar als „eine Grundlage für den Dritten Weltkrieg.“
Deutschland verhält sich nicht nur vorsichtig in Bezug auf eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, sondern verfolgt auch die Politik, großzügige Hilfen an die Ukraine zu leisten. Dieser Ansatz spiegelt das Bestreben wider, die NATO aus militärischen Konflikten herauszuhalten und das Gleichgewicht in der Region zu wahren. Berlin befürchtet, dass eine Einladung der Ukraine in die NATO die Spannungen mit Russland weiter verschärfen, diplomatische Bemühungen erschweren und die Sicherheitsstabilität in Europa gefährden könnte.
Herausforderungen in den deutsch-russischen Beziehungen
Seit Beginn des Krieges zwischen Russland und der Ukraine hat Deutschland zahlreiche Sanktionen gegen Russland verhängt, in der Hoffnung, damit den Krieg zu beenden. Doch diese Sanktionen haben vor allem dazu geführt, dass Russlands Gasembargo die Energiepreise in Deutschland und vielen EU-Ländern rasant steigen ließ und die Inflation zusätzlich befeuerte. Dies wirft die Frage auf, ob Deutschland zu Beginn des Krieges nicht besser auf diplomatische Methoden hätte setzen sollen, anstatt die wirtschaftlichen Risiken für die eigene Bevölkerung zu unterschätzen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskyj stellte in seinem an das ukrainische Parlament gerichteten „Siegesplan“ eine NATO-Mitgliedschaft als zentrales Thema vor. Nach diesem Plan würde eine Einladung an die Ukraine in die NATO selbst im Krieg die Entschlossenheit der Alliierten signalisieren. Doch viele NATO-Länder sind bei diesem Thema zurückhaltend, da sie befürchten, dass eine solche Einladung den Krieg nicht beenden, sondern ein breiteres Konfliktfeld schaffen könnte.
Auf der anderen Seite führte der ehemalige NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in einem Interview das Beispiel des westdeutschen NATO-Beitritts von 1955 an, der damals lediglich eine Sicherheitsgarantie für Westdeutschland umfasste. Die Ukraine zeigt sich jedoch diesem Szenario gegenüber wenig aufgeschlossen, da sie nicht bereit ist, auf ihre territoriale Integrität zu verzichten.
Unterstützung für eine EU-Mitgliedschaft – ein Widerspruch?
Während Deutschland der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine skeptisch gegenübersteht, zeigt es sich offener für eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine. Doch auch eine EU-Mitgliedschaft birgt Probleme und bringt Deutschlands Widerspruch zum Vorschein. Der EU-Rat akzeptierte den Antrag der Ukraine in Rekordzeit und gewährte ihr am 23. Juni 2022 den Status eines Beitrittskandidaten. Der Beitritt eines Landes im Kriegszustand könnte jedoch die politische Einheit der EU bedrohen. Gemäß den Kopenhagener und Madrider Kriterien müssen Beitrittskandidaten Grenzkonflikte gelöst haben. Somit ist der aktuelle Konflikt ein großes Hindernis für den EU-Beitritt der Ukraine. Auch wenn die EU kein militärisches Bündnis wie die NATO ist, könnte eine Mitgliedschaft der Ukraine nicht direkt eine militärische Auseinandersetzung mit Russland auslösen, würde aber dennoch den Beitrittsanforderungen der EU widersprechen.
Deutschlands und Europas strategische Rolle
Deutschland könnte im Russland-Ukraine-Konflikt eine wichtigere Rolle zur Wahrung der regionalen Stabilität einnehmen, indem es diplomatisch agiert. Eine vorsichtige Haltung bei sensiblen Themen wie der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine könnte den Weg für Diplomatie öffnen. Deutschlands vorsichtige Haltung kann als Strategie zur Eindämmung einer Eskalation des Krieges gesehen werden. Seit Beginn des Krieges versuchte Deutschland, mit Sanktionen wirtschaftlichen Druck auf Russland auszuüben, doch diese Herangehensweise führte nicht zur Beendigung des Krieges und brachte Europa finanzielle Kosten.
Deutschlands strategische Widersprüche und die Suche nach regionalem Frieden
Der Beitrittswunsch der Ukraine zur NATO offenbart die strategischen Dilemmata, mit denen Deutschland und viele westliche Staaten konfrontiert sind. Einerseits wird das Recht der Ukraine, sich gegen Russland zu verteidigen, anerkannt, andererseits birgt eine NATO-Mitgliedschaft das Risiko, das Sicherheitsgleichgewicht in Europa zu stören und den Krieg weiter auszuweiten. Deutschland behält seine vorsichtige Haltung zur NATO-Mitgliedschaft der Ukraine bei, während es weiterhin militärische und wirtschaftliche Unterstützung leistet.
Zusammenfassend reflektiert Deutschlands vorsichtige Position innerhalb der NATO und der EU sowohl den Versuch, eine Eskalation des Krieges zu verhindern, als auch das Streben nach regionalem Frieden. Auch wenn die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine nicht sofort realisiert wird, könnte Deutschlands diplomatischer Ansatz langfristig zur Stabilität in Europa beitragen. Als größte Volkswirtschaft Europas versucht Deutschland, durch eine vorsichtige Haltung im Hinblick auf eine NATO-Mitgliedschaft, eine klügere Rolle zur Sicherung der europäischen Sicherheit einzunehmen.