Archivbild: Ein Kriegsschiff im Bosporus (Others)
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Mit ihrer Außenpolitik insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg verfolgte die Türkei einen Ansatz, der aus ihrer Sicht zur Gewährleistung des Weltfriedens und internationaler Gerechtigkeit beitragen sollte, ohne eigene nationale Interessen außen vor zu lassen. In der Nachbetrachtung wird deutlich, dass diese sorgfältig verfolgte Politik in der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg noch mehr an Bedeutung gewann.

Nach dem Friedensabkommen von Lausanne standen für die Türkei Hatay- und Meerengen-Frage im Mittelpunkt als zwei Probleme, die auf eine Lösung warteten. Als Ergebnis einer umsichtigen Außenpolitik, die zwischen den beiden Weltkriegen betrieben wurde, entschied die Türkei sowohl die Meerengen- als auch die Hatay-Frage zu ihren Gunsten.

Während die türkischen Meerengen (Dardanellen und Bosporus) noch zu Zeiten des Osmanischen Reichs als Faustpfand im Hinblick auf die Gewährleistung der äußeren Sicherheit dienten, stellten sie für die Türkei ebenso ein geostrategisches und geopolitisches Machtinstrument zu ihren Gunsten dar. In diesem Sinne waren bei Würdigung beider Aspekte die türkischen Meerengen auch immer ein geostrategisches Gleichgewichtselement in der Außenpolitik.

Das erste Abkommen über die türkischen Meerengen in der osmanischen Geschichte war das Kaynarca-Abkommen von 1774. Die bis dahin für ausländische Schiffe gesperrten türkischen Meerengen wurden mit dem Kaynarca-Abkommen erstmals für die Durchfahrt russischer Handelsschiffe geöffnet. Mit dem Kaynarca-Abkommen nahm die Bedeutung des internationalen Transitstatus der türkischen Meerenge zu. Ab diesem Zeitpunkt wurde eine internationale Lösung vereinbart, mit welcher der Transitstatus von Kriegs- und Handelsschiffen getrennt geregelt wird.

Im folgenden geschichtlichen Ablauf wurden die türkischen Meerengen durch den Druck von Staaten wie England und Frankreich zu einem internationalen Problem für das Osmanische Reich. Mit dem Londoner Abkommen von 1841 verlor das Osmanische Reich innerhalb seiner eigenen Grenzen die Hoheit über die Passagerechte. Nach den damaligen Regelungen galt als allgemeiner Grundsatz, dass in Friedenszeiten kein Kriegsschiff die Meerengen passieren durfte. Diese Regelung galt bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Im Rahmen des „Misak-ı Milli“, den Grundprinzipien des türkischen Unabhängigkeitskriegs, war vorgesehen, dass die von der Besatzung zu befreienden Meerengen nach der Sicherung von Istanbul und des Marmarameeres für die Passage von internationalen Handels- und Transportschiffen geöffnet werden. Nachdem die Türkei von der Besatzung befreit und unabhängig geworden war, wurde im Rahmen der Verhandlungen des Vertrags von Lausanne auch der Status der Meerengen diskutiert. Gemäß Friedensvertrag von Lausanne wurden die Meerengen für internationale Durchfahrten geöffnet. Darüber hinaus wurden die Entmilitarisierung der Meerengen und die Gewährleistung der Sicherheit von Durchfahrten durch die Einrichtung unter Aufsicht einer dem Völkerbund unterstehenden internationalen Kommission beschlossen. Diese Einschränkungen auf ihrem eigenen Territorium waren für den Souveränitätsanspruch der jungen türkischen Republik inakzeptabel.

Mit der Machtübernahme der NSDAP unter Adolf Hitler 1933 überschlugen sich die weltweiten Entwicklungen, und der Beginn eines unaufhaltsamen Wettrüstens zwang die Republik Türkei, die sich schon vorher um den Status der türkischen Meerengen gesorgt hatte, Neuverhandlungen zum Status selbiger zu verlangen. In diesem Sinne wandte sie sich ab 1933 mehrfach an die Vertragsparteien des Vertrags von Lausanne und forderte eine Änderung der Bestimmungen über die Meerengen.

Zunächst konnte die Türkei keinerlei Ergebnisse erzielen und sendete erneut eine „diplomatische Note“ an alle involvierten Parteien, um die Bestimmungen zu den Meerengen im Vertrag von Lausanne neu zu verhandeln und einen neuen Status festzulegen. Entsprechend dem völkerrechtlichen Grundsatz „rebus sic stantibus“, also Regelungen zu ändern, wenn sich die Umstände ändern, wurde gefordert, das Meerengen-Abkommen an die veränderten Rahmenbedingungen anzupassen. Der Vorstoß der Türkei wurde von Italien abgelehnt. Allerdings wurde damals von der UdSSR, Bulgarien, Griechenland, Jugoslawien, Rumänien, Frankreich und England eingeräumt, dass die völkerrechtliche „rebus sic stantibus“-Situation in Bezug auf die Meerengen eingetreten und im Lichte der veränderten Rahmenbedingungen ein neuer Status der Meerengen zu bestimmen sei. Als Ergebnis dieser neuerlichen Verhandlungen wurde am 20. Juli 1936 das „Montreux Meerengen-Abkommen“ unterzeichnet.

Die Bedeutung des Montreux-Abkommens für den Status der Meerengen

Die wichtigste vertragliche Regelung besagte, dass die Regelung der Durchfahrten vollständig der Republik Türkei überlassen wurde. Bei der Regulierung dieser Transitdurchfahrten durch die Meerengen sind drei Situationen vorgesehen: Friedenszustand, Kriegszustand und Zustand unmittelbarer Kriegsgefahr. Dementsprechend werden Schiffe in getrennte Kategorien eingeteilt, entweder als Kriegsschiffe oder Handelsschiffe.

In Friedenszeiten können Handelsschiffe Tag und Nacht ungehindert die Meerengen passieren, unabhängig davon, unter welcher Flagge sie fahren und was sie transportieren. Gemäß dieser Regelung, die als „volle Transportfreiheit“ bezeichnet wird, müssen Schiffe jeweils Namen, Flagge, Tonnage, Ankunfts- und Abfahrtshafen angeben.

Der Zweck dieser Meldepflicht besteht darin, die für die Durchfahrt fälligen Steuern und Gebühren einfacher zu erheben. Für Durchfahrten von Handelsschiffen in Kriegszeiten ist es entscheidend, ob die Türkei eine der Kriegsparteien ist oder nicht. Wenn die Türkei keine Kriegspartei ist, können Handelsschiffe die Meerengen ungehindert passieren und von der „vollständigen Transportfreiheit“ profitieren, genau wie in Friedenszeiten.

Wenn sich die Türkei selbst im Krieg befindet, können nur Handelsschiffe aus Staaten, die sich nicht im Krieg mit der Türkei befinden, die Meerengen passieren, vorausgesetzt, sie unterstützen die Feinde der Türkei in keiner Weise. Die Durchfahrten erfolgen in Kriegszeiten jedoch tagsüber und auf von der Türkei ausgewiesenen Routen. Wenn sich die Türkei in unmittelbarer Kriegsgefahr sieht, können im Allgemeinen alle Handelsschiffe die Meerengen passieren, aber die Überfahrt muss tagsüber und auf der von den türkischen Behörden angegebenen Route erfolgen.

Status von Kriegsschiffen im Montreux-Abkommen

Die Regelung für Kriegsschiffe im Montreux-Abkommen ist anders geregelt als die für Handelsschiffe und enthält wichtige abweichende technische Bestimmungen. In Friedenszeiten ist die Schiffspassage je nach Typ und Tonnage der Kriegsschiffe geregelt. Durchfahrten von Kriegsschiffen müssen tagsüber stattfinden. Nach den Bestimmungen des Abkommens ist bei der Durchfahrt von Kriegsschiffen in Friedenszeiten eine vorherige Anmeldung erforderlich, unabhängig davon, unter welcher Flagge sie fahren. In dieser Voranmeldung sind Bestimmungsort, Name, Typ, Anzahl der Schiffe und Transitdaten für die Abfahrt und ggf. die Rückfahrt anzugeben. Die Schiffe müssen dann die Meerengen innerhalb von 5 Tagen ab dem in den Voranmeldungen angegebenen Datum passieren.

In einem Kriegsfall, der die Türkei nicht unmittelbar betrifft, haben Kriegsschiffe im Rahmen der im Vertrag festgelegten Regelungen dennoch volle Durchfahrtsfreiheit. Die Durchfahrt von Schiffen kriegführender Staaten durch die Meerengen ist jedoch nach den Bestimmungen des Vertrags verboten. Die Ausnahme hiervon ist, dass Schiffe von Anrainerstaaten des Schwarzen Meers trotz Kriegszustands passieren dürfen, wenn sie ihre jeweiligen Heimathäfen anlaufen. Dies wird im Artikel 19 der Konvention geregelt. Wenn sich die Türkei im Kriegszustand befindet hat sie gemäß Artikel 20 der Konvention die Befugnis, hinsichtlich der Durchquerung der Meerengen nach eigenem Belieben zu handeln. Ebenso kann die Türkei ihr Hoheitsrecht gemäß Artikel 20 des Abkommens ausüben, wenn sie sich von einem bestehenden Kriegszustand bedroht sieht, und die Passage durch die Meerengen nach Belieben gestalten.

Die Türkei wird die Befugnisse nutzen, die ihr das Montreux-Abkommen gewährt

Die Bestimmungen des 1936 in Kraft getretenen Montreux-Abkommens sind unmissverständlich. Das Übereinkommen ist sowohl im Hinblick auf das Hoheitsrecht, das es der Türkei gewährt, als auch für den Schutz des internationalen Charakters der Meerengen von großer Bedeutung. Gleich zu Beginn des aktuellen kriegerischen Konflikts zwischen Russland und der Ukraine waren die diesbezüglichen Äußerungen des türkischen Außenministers Çavuşoğlu eindeutig. Das türkische Außenministerium hat eine Ist-Zustands-Bewertung gemacht und entschieden, dass die Situation zwischen der Ukraine und Russland dem „Kriegszustand“ gleichkommt und nunmehr die entsprechenden Bestimmungen des Montreux-Abkommens für alle beteiligten Parteien transparent angewandt würden.

Es ist wichtig festzuhalten, dass die zügige Entscheidung der Türkei, die durch die Montreux-Konvention eingeräumte Befugnis in Bezug auf den Schiffsverkehr durch die Meerengen zu nutzen, auch in den Äußerungen von Präsident Erdoğan unterstrichen wurde. Wie sehr dabei die Türkei auf den Frieden bedacht ist, wird an der Anmerkung des Präsidenten deutlich, die eingeräumten Befugnisse so zu nutzen, „dass eine weitere Eskalation zwischen beiden Ländern verhindert wird“.

Die jüngsten Entwicklungen verdeutlichen ein weiteres Mal, wie empfindlich das mit dem Montreux-Abkommen von 1936 hergestellte Gleichgewicht ist. Insbesondere die Beschränkungen hinsichtlich Tonnage, Klasse, Anzahl und Aufenthaltsdauer im Schwarzen Meer für die Kriegsschiffe von Nichtanrainerstaaten im Schwarzen Meer wurden als wichtige Bestimmungen für die Wahrung von Gleichgewichten in den Vertrag aufgenommen. Ebenso ist es sehr wichtig, die türkische Souveränität in den Meerengen zu wahren und auf diese Weise der internationalen Bedeutung selbiger gerecht zu werden. In diesem Sinne muss die internationale Gemeinschaft darauf vertrauen, dass die Türkei die Bestimmungen des Montreux-Abkommens auch umsetzt.

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