Archivbild:  Kemal Kılıçdaroğlu, Vorsitzender der sozialdemokratischen CHP, besuchte SPD-Bundestagsfraktion in 2016 (haberler.com)
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Geflüchtete werden zur Zielscheibe gemacht

„Wir haben die Hilfen an Geflüchtete beendet und ihnen keine Gewerbeerlaubnis erteilt. Trotzdem verlassen sie nicht unsere Stadt. Danach haben wir beschlossen, neue Maßnahmen zu ergreifen. Unsere Staatsbürger und ausländische Staatsangehörige können Wasser nicht zum gleichen Preis nutzen. Wir werden für sie Wasserpreise und Abfallsteuer um das Zehnfache erhöhen.“ Nein, diese Worte stammen nicht von einem AfD-Politiker aus Deutschland, sondern vom Bürgermeister der Stadt Bolu, Tanju Özcan, der der Oppositionspartei CHP (Republikanische Volkspartei) angehört. Statt Gegenwind bekommt er breite Unterstützung seiner Wähler, die Gleiches nun von allen Bürgermeistern der CHP fordern. Istanbul, Ankara, Izmir sollten folgen. Da sich der Bürgermeister von Izmir, Tunc Soyer, dagegen stellt und einen humanen Umgang mit Geflüchteten fordert, wird er von seinen Wählern angefeindet.

Nun wurde der Antrag von Tanju Özcan im Stadtrat mit den Stimmen der CHP angenommen. Um bei den Fakten zu bleiben: In Bolu leben gerade einmal 4200 Syrer. Bei einer Einwohnerzahl von 300.000 sind das 1,39 %. Diese Rhetorik ähnelt der der AfD. Obwohl in Ostdeutschland weniger Geflüchtete leben, erhält sie dort die meisten Stimmen.

Wenn sogar der Bürgermeister so vorgeht, was erwartet man von einfachen Bürgern, wenn sie die Lebensmittelpreise für Geflüchtete dieser inhumanen Politik angleichen? Die Wählerschaft der CHP und andere Oppositionsparteien sprechen im Kontext von Migration von „heimlicher Invasion“ und „demografischem Wandel“. Man könnten annehmen, sie seien Demokraten und Humanisten, aber bei diesem Thema reproduzieren sie die Sprache der Rechten in Europa, und das ist beängstigend. Spätestens jetzt sollten die Alarmglocken läuten.

Exkludierende Flüchtlingspolitik der CHP

Nun ist Tanju Özcan nicht der erste türkische Politiker, der Geflüchtete nicht als Teil der Gesellschaft ansieht und eine Politik der Ausgrenzung verfolgt. Man könne ihn sogar einen Faschisten nennen, er werde nicht von seinem Weg abkommen, teilte er in der Presseversammlung mit. Der CHP-Vorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu, der in Europa als Erdogans Gegenspieler hofiert und als Demokrat angesehen wird, verspricht sogar die Abschiebung aller Syrer, wenn er die Wahlen in zwei Jahren für sich entscheiden könne. Dabei behauptet er auch ohne Grundlage, dass gewerbetreibende Geflüchtete keine Steuern zahlen müssen. Diese Behauptung wurde mehrfach widerlegt. Angesichts der Tatsache, dass viele Syrer schon seit zehn Jahren in der Türkei leben, das Land als ihre Heimat ansehen und die Lage in Syrien immer noch nicht friedlich ist, ist das weder realistisch noch moralisch vertretbar. Doch mit Hetze gegen Geflüchtete lässt sich wohl mehr Kapital schlagen als mit zukunftsweisender integrativer Flüchtlingspolitik.

Konträr zur Flüchtlingspolitik der SPD?

Ist das mit den Werten der deutschen Sozialdemokraten vereinbar? Bisher hört man keine Gegenstimmen, obwohl die SPD für eine humane Flüchtlingspolitik steht. So möchte man die Integrationschancen für alle Menschen stärken, die vor Krieg und Elend nach Deutschland geflüchtet sind und sich eine Zukunft aufbauen möchten. Und zudem die Qualität der Integrationskurse verbessern, um das Erlernen der deutschen Sprache und den Zugang zu Ausbildung und Arbeit zu erleichtern.

Natürlich sollte auch die EU mehr Verantwortung übernehmen und die Türkei nicht nur als Hauptversorger und Türsteher behandeln, aber diese Kritik sollte nicht auf dem Rücken der Geflüchteten ausgetragen werden. Auf die Schwächsten der Gesellschaft zu treten, wird ihnen wohl mehr Stimmen bringen, aber der gesellschaftliche Frieden wird dadurch nachhaltig gestört.

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