01.09.2024, Berlin: Ein Schild mit der Aufschrift «Faschismus ist keine Alternative» ist bei einer Demonstration gegen eine Wahlparty von AfD-Unterstützern zu den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen in Berlin-Blankenburg zu sehen. / Photo: DPA (dpa)
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Es gibt zwei große Gewinner der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen: die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) und das linkspopulistische Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Es hat sich gezeigt, dass alle demokratischen Parteien der Mitte, die die Ampel-Koalition in Deutschland bilden - also SPD, FDP und Grüne - teils erheblich an Zustimmung verloren haben. Allein die als Ampel-Alternative geltende konservativ demokratische CDU konnte sich diesem Absturz, trotz leichter Stimmverluste in Sachsen, entgegenstellen, da sie sich im Osten Deutschlands als traditionalistisch und volksnah präsentiert und im Westen aus der oppositionellen Bequemlichkeit heraus die Ampel-Parteien seit Monaten mit immer neuen Forderungen vor sich hertreibt.

Quittung für die Ampel-Koalition zahlen die Landesverbände

Die Quittung für die Fehlleistungen der sogenannten Fortschrittskoalition im Bund in den vergangenen Jahren müssen jetzt die Landeverbände zahlen, die teils nicht mehr in den Landtagen vertreten sind. In Thüringen sind FDP und Grüne nicht mehr im Parlament. In Sachsen kommt die Klimapartei nur knapp über die Fünf-Prozent-Hürde. Damit ist auch die derzeitige rot-rot-grüne Regierung in Thüringen abgewählt. Es bleibt nur die Option einer Koalition aus CDU, SPD und BSW. Beachtlich ist zudem, dass eine rechtsextreme Partei erstmals in Nachkriegsdeutschland zur stärksten politischen Kraft in einem Bundesland geworden ist. Damit geht Thüringen als Negativbeispiel in die Geschichte ein. Erschreckend ist außerdem, dass in Thüringen die Frauen mehrheitlich (28 Prozent) die AfD gewählt haben, noch vor der CDU (26 Prozent) und BSW (16 Prozent). Bei den Männern fiel dies das Votum noch deutlicher aus: 39 Prozent stimmten in Thüringen für die AfD, 22 Prozent für die CDU und 13 für das BSW. In Sachsen hingegen gaben die Frauen mehrheitlich (35 Prozent) ihre Stimmen der CDU, während die AfD nur von 26 Prozent der Frauen unterstützt wurde. Anders sieht es bei den Männern im Freistaat aus: Dort setzten 36 Prozent der Männer ihr Kreuz bei den Rechtsextremen. Nur 29 Prozent wählten die CDU.

Die Unbeliebtheit der Ampel-Koalition hat für Stimmverluste gesorgt

Es gibt zahlreiche Gründe, warum die im Bund regierenden Ampel-Parteien auch in den beiden ostdeutschen Landtagen in Thüringen und Sachsen an Zustimmung verloren haben. Das antizyklische Wahlverhalten, bei dem bei Landtagswahlen eher Parteien gewählt werden, die nicht an der Bundesregierung beteiligt sind, hat sich bei diesen Landtagswahlen in besonderer Weise gezeigt. Es ist deutlich erkennbar, dass die Unbeliebtheit der Ampel-Regierung in den neuen Bundesländern noch stärker ausgeprägt ist als in den alten. Die Unzufriedenheit der Deutschen mit der Bundesregierung zeigte sich auch in den Umfragen sehr deutlich. Und von einem „Amtsbonus“ bzw. „Kanzlerbonus-Effekt“ des sozialdemokratischen Regierungschefs Olaf Scholz konnte keine Rede sein. Ganz im Gegenteil, die massive Unbeliebtheit von Scholz hat der Kanzlerpartei und ihren Partnern im Osten keine Stimmengewinne beschert.

Bundespolitik überlagerte die Landtagswahl

Ein weiterer wichtiger Grund für die historische Niederlage der Ampel-Parteien in Sachsen und Thüringen ist, dass dort vor allem bundespolitische Themen die Hauptrolle gespielt haben und letztlich wahlentscheidend waren. Laut einer Forsa-Umfrage, die kurz vor den Wahlen in Auftrag gegeben wurde, gaben 62 Prozent der Thüringer und 66 Prozent der Sachsen an, dass ihnen die Politik der Ampel im Bund große Sorgen bereite. Sie nannten mehrheitlich den Ukraine-Krieg, Stationierung von Raketen in Deutschland, die Kriminalität und Gewalt, die abnehmende Solidarität im Land, die als stark und unkontrolliert empfundene Einwanderung sowie die steigende Inflation als Themen, die Ängste in ihnen hervorrufen. Das sind alles Punkte, auf die die Landesregierungen kaum oder keinen Einfluss nehmen können.

„Fortschrittsparteien“ waren nie besonders stark in Sachsen und Thüringen

Als dritten Hauptgrund für das miserable Abschneiden der als „Parteien des Fortschritts“ deklarierten SPD, Grünen und FDP bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen können parteihistorische Entwicklungen genannt werden. Die Ampel-Parteien waren in der gesamten Fläche Sachsens und Thüringens nie dominierend, höchstens in einigen wenigen Großstädten. Bei den Landtagswahlen in Thüringen 2019 erreichten die Ampel-Parteien lediglich einstellige Wahlergebnisse (FDP: 5,0 Prozent, Grüne: 5,2 Prozent, SPD: 8,2 Prozent). Auch in Sachsen sah es vor fünf Jahren schlecht aus für die „Fortschrittsparteien“. Dort erzielte die SPD ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis in ihrer Geschichte (7,7 Prozent). Die Grünen schafften 2019 respektable 8,6 Prozent im Freistaat. Die FDP konnte auch damals schon die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringen und war somit überhaupt nicht im Landesparlament vertreten. Jetzt gibt in Sachsen es zwei Optionen: Die Fortführung der Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grüne oder eine Koalition aus CDU, SPD und BSW.

Strukturelle Demokratiedefizite?

Der nächste Punkt für das historisch schlechte Wahlergebnis für die Ampel-Parteien ist struktureller Natur. Im Osten, der zwischen 1945 und 1989 sozialistisch-kommunistisch geprägt war, gibt es immer noch Ressentiments gegenüber den (politischen) Eliten und das „Establishment“, wozu auch Medienverlage zählen. Die demokratische Kultur, wie wir sie im Westen kennen, ist in Teilen des Ostens seit knapp 35 Jahren noch immer nicht gänzlich angekommen. Hier stellt sich die Frage: Wirft der längst abgeschaffte sozialistische Stasi-Staat, der umfassend und totalitär war, noch immer seine Schatten voraus? Die Affinität von Teilen des Wahlvolks gegenüber populistischen, autoritären und extremistischen, um nicht zu sagen, totalitären Strukturen und Bewegungen, scheint in Teilen Ostdeutschlands noch immer ausgeprägt zu sein. Die Frage, ob die staatsautoritäre Erziehung der DDR von den Eltern an die Kinder und Enkel weitergegeben wurde, ist aktueller denn je. Offener gefragt: Könnte es in Teilen der neuen Bundesländer ein strukturelles Demokratiedefizit geben?

Populistisches Weltbild und Gemeinsamkeiten bei AfD und BSW

Knapp ein Drittel der Menschen in Ostdeutschland legen in Umfragen ein populistisches Weltbild an den Tag. Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass neben der AfD das BSW zu den großen Gewinnern der Landtagswahlen in beiden Bundesländern gehört. Beide Parteien weisen ausgeprägte, populistische Züge auf. Eine dieser Parteien wird als „rechtspopulistisch“ und „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft. Allerdings ist das BSW noch zu neu, um fundiert beurteilt werden zu können. Dennoch gibt es Überschneidungen und Parallelen zwischen der AfD und BSW. Beiden Parteien wird vorgeworfen, eine unkritische und russlandfreundliche Politik zu betreiben. Die mangelnde Distanz zu Wladimir Putin und die Kritik an der Ukraine-Politik des Westens sind weitere Beanstandungen. Sahra Wagenknecht lehnt diese Einschätzungen allerdings kategorisch ab. Die Zurückhaltung gegenüber der NATO und den USA gehört ebenso zu den Gemeinsamkeiten beider Parteien. Zudem gibt es Berührungspunkte in der teilweise nationalistischen Außen- und Sicherheitspolitik sowie der protektionistischen Wirtschaftspolitik. Auch in der Sozial- und Migrationspolitik treten an einigen Stellen Affinitäten in Augenschein, obwohl es hier auch markante Unterschiede gibt. Völkisch wie die AfD ist das BSW allerdings nicht. Es kann vielmehr als eine Art Nachfolgepartei der Linken gesehen werden.

BSW ist kein Rivale der AfD

Gerade gegenüber den Grünen und der FDP, die als Stellvertreter der wohlhabenden Bildungseliten und reichen Unternehmer gesehen werden, herrscht im Osten Misstrauen. Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass diese beiden Parteien zu den großen Verlierern der Landtagswahlen gehören. Hier stimmt das Wahlvolk mehrheitlich lieber für die AfD als für Grüne oder FDP. Als Alternative zur SPD fungierte im Osten lange Zeit die Linkspartei, die unter anderem aus der SED-Nachfolgerin PDS hervorging. Die Stimmen der SPD und Linken wanderten jetzt aber mehrheitlich zum neu gegründeten Bündnis der ehemaligen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht. Das Leck im linken Spektrum, das die SPD und Linke im Osten seit langem aufgerissen haben, füllt nun das BSW aus. Dem BSW trauen die Menschen in Thüringen und Sachsen besonders im Bereich Bildung, Wirtschaft, Wohnen und Migrationspolitik mehr zu als den „alten“ sozialdemokratischen und sozialistischen Kräften. Die Hoffnung, dass die AfD und BSW sich „kannibalisieren“ würden, bewahrheitete sich bei den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen nicht. Ob dies bei den kommenden Bundestagswahlen auch so sein wird, lässt sich heute nicht klar abschätzen. Das BSW konnte der AfD keine großen Stimmen wegnehmen. Die große Herausforderung für die kommenden Jahre wird es sein, die Menschen, die jetzt zu den rechten und linken politischen Rändern abgewandert sind, wieder in die politische Mitte zurückzugewinnen.

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