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Das Coronavirus zwingt die ganze Welt, über Maßnahmen und Alternativen nachzudenken. Muslime weltweit werden ab heute den Fastenmonat Ramadan anders als sonst empfangen müssen. Wie kann das am besten gelingen?

Das Fasten im Monat Ramadan gehört zu den fünf Hauptpfeilern des Islam. Etwa 30 Tage lang versammeln sich Muslime weltweit in kleinen oder großen Kreisen zum sogenannten Iftar, um bei Sonnenuntergang gemeinsam das Fasten zu brechen. In muslimischen Gesellschaften gilt dieser Monat stets als eine besondere Zeit, um familiäre Bindungen aufrechtzuerhalten und mit Freunden ein gutes Mahl zu teilen – und somit auch das Gefühl von Zusammenhalt und Solidarität zu stärken. Man lädt zum Essen ein und wird eingeladen, man isst und feiert zusammen. Die Praxis des gemeinsamen Speisens zu Ramadan ist in muslimischen Kulturkreisen so stark verbreitet, dass das einsame Fastenbrechen als Ausnahme gilt.

Insbesondere für muslimische Arbeitnehmer, die aufgrund hoher Arbeitsbelastung und der Geschäftigkeit des „Großstadtlebens“ normalerweise nicht viel Zeit für ihre Angehörigen haben, ist der Monat Ramadan eine willkommene Gelegenheit, um mit den Liebsten besinnliche Momente zu teilen.

Diese Traditionen werfen jedoch mit der Ausbreitung des Coronavirus eine Frage auf, deren Antwort mit Spannung erwartet wird: Wie können Muslime den Ramadan in Zeiten von Ausgangsperren, Quarantäne, sozialer Distanzierung und einer Pandemie in seiner wahren Essenz erleben? Hier eine Reihe von Vorschlägen, um trotz Corona-Krise den Ramadan sinnvoll zu verbringen.

Die Realität akzeptieren

Sich den ganzen Tag über die verheerenden Folgen der Coronavirus-Pandemie zu beklagen, hilft niemandem. Seine Zeit damit zu verbringen, über längst unmögliche Szenarien nachzudenken, ist für gewöhnlich nicht besonders produktiv. Man kann sich fragen, was passiert wäre, wenn China es geschafft hätte, das Virus in Wuhan einzudämmen, oder über Menschen meckern, die Hygieneregeln nicht erwartungsgemäß beachten – aber was bringt uns diese ständige Beschwerdehaltung?

Meckern, sich beschweren, sich beklagen – das sind menschliche Merkmale, die sich sogar manchmal als recht sinnvoll und effektiv erweisen. In unserem Falle aber ist eine gute Portion Realismus das einzig richtige Mittel, um diese schwierige Zeit vernünftig zu überstehen.

Das Coronavirus ist längst noch nicht bekämpft. Wir müssen noch eine Weile zu Hause bleiben. Hören wir also auf zu jammern und lasst uns stattdessen mit einer gewissen Offenheit für Neues an die Sache herantreten. Akzeptieren wir die außergewöhnlichen Umstände so wie sie sind. Ja, dieses Jahr werden Muslime auf der ganzen Welt nicht in der Lage sein, bei gemeinschaftlichem Fastenbrechen zusammenzukommen, den Koran gemeinsam zu rezitieren oder nach dem abendlichen Gebetsruf zusammen eine Tasse Kaffee zu trinken. Solche eigenartigen Zeiten können aber auch einigen überraschend gut funktionierenden Alternativen den Weg ebnen.

Gewohnheiten digitalisieren

Als Menschen im Digitalisierungszeitalter steht uns eine Bandbreite an Möglichkeiten offen: Wir können Essen online bestellen, online einkaufen und sogar über soziale Netzwerke miteinander online kommunizieren. Warum also auch nicht den Ramadan online gestalten?

Vielleicht haben einige von uns letzten Ramadan vergessen, den einen Onkel oder die eine Tante mal wieder anzurufen. Vielleicht haben auch manche von uns in dieser stressigen Krisenzeit die eigenen Eltern etwas vernachlässigt. Der bevorstehende Ramadan könnte eine Zeit der Horizonterweiterung werden, um über sich selbst zu reflektieren und geliebte Menschen besser wertzuschätzen.

Die Wunder der Technologie machen das, was vor 30 Jahren unmöglich war, zu einem gewöhnlichen Ereignis. Ob nun FaceTime, Skype, Discord, WhatsApp, Facebook Messenger, Google Duo oder Houseparty – inzwischen kann jeder in kürzester Zeit Videokonferenzen mit Familienmitgliedern und Freunden führen. Aber vermeiden Sie lieber Zoom, das derzeit in mehreren Webcam-Hacking-Skandalen verwickelt ist.

Mit einer einfachen Einrichtung wie einem billigen Stativ und Ihrem Telefon mit Blick auf den Iftar-Tisch können Sie in Echtzeit mit Ihren Liebsten speisen – körperlich zwar fern, aber geistig doch nah.

Und was das Zubereiten von Sahur, der Mahlzeit vor dem täglichen Fastenbeginn am Morgen, oder vom Iftar-Essen angeht, auch da gibt es Wege, trotz Distanz Gemeinschaftlichkeit zu erleben. Warum nicht für Familie und Freunde auf Instagram live schalten, damit sie sich von den Rezepten inspirieren lassen oder sogar die gleichen köstlichen Spezialitäten zubereiten können?

Gemeinsame Koranlektüre per App

Im Ramadan geht es aber nicht nur um Essen und Trinken und deren Verzicht. Der für Muslime heilige Monat ist auch eine Zeit der persönlichen Einkehr, in der sich jeder Einzelne um eine spirituelle Bindung zum Schöpfer bemüht und über die eigenen Taten nachdenkt.

Im Normalfall kommen im Ramadan Muslime in Moscheen zusammen, um die Muqabala zu praktizieren, also den Koran gemeinsam zu rezitieren. Da wir uns aber inmitten einer gefährlichen Pandemie befinden, wird diese Praxis in diesem Jahr ausfallen. Warum nicht stattdessen einen Muqabala-Partner finden und die Worte Allahs in Echtzeit miteinander rezitieren? Eine einfache App und ein Telefon sind alles, was dafür benötigt werden – und natürlich der Wille.

Da das spezielle Gebet im Ramadan, das Tarawih-Gebet, nicht unbedingt in der Moschee ausgeführt werden muss, können Familien oder Menschen, die unter einem Dach leben, das Gebet auch zuhause gemeinsam verrichten. Mit bereits zwei Personen kann eine Tarawih in Form eines Gruppengebets praktiziert werden. Auch auf diese Weise kann also im Monat Ramadan trotz Ausgangsbeschränkungen der Geist der Einheit erweckt werden.

Coronavirus-Gefahr beachten

Der Ramadan ist die Jahreszeit, auf die sich alle Muslime freuen. Sie verbinden mit diesem Monat positive Erlebnismomente, sozialen Halt und geistige Stärke. Gläubige auf der ganzen Welt haben auf diese 30 Tage gewartet, um ihr spirituelles Verhältnis zu ihrem Schöpfer zu intensivieren.

Während die Covid-19-Pandemie anhält, werden die Vorsichtsmaßnahmen noch eine Weile unverzichtbar sein. Auch islamisch gesehen ist es daher geboten, die Maßnahmen ernst zu nehmen. Der Prophet Muhammad (Friede sei mit ihm) warnte bereits vor 1400 Jahren: „Wer von einem Ausbruch einer ansteckenden Krankheit in einem Land erfährt, soll es nicht betreten, und wer sich an einem Ort befindet, in dem die ansteckende Krankheit ausgebrochen ist, soll diesen Ort nicht verlassen.“

Wenn wir den gegenwärtigen Zustand der Welt aus einer streng religiösen Perspektive betrachten, dann können wir mit Sicherheit sagen: In diesem Jahr ist es von essentieller Wichtigkeit, auch während des Ramadans durch Selbstquarantäne den Erhalt von Leben und Gesundheit zu fördern.

„Es gibt für das Volk kein würdigeres Ding als Wohlstand. Es gibt keinen größeren Wohlstand auf der Welt als einen Augenblick von Gesundheit.“ So heißt es sinngemäß in einem Gedicht vom osmanischen Sultan Suleiman I., bekannt auch als Suleiman der Prächtige.

Die Praktiken des Ramadans werden in diesem Jahr offensichtlich zusätzliche Anstrengungen erfordern. Während des Aufenthalts zu Hause sollten sich alle Menschen weiterhin strikt an die Hygienevorschriften halten.

Demut üben

Anstatt in schicke Restaurants zu gehen, um ein teures Iftar-Essen zu genießen, haben nun Muslime die Gelegenheit, das eigene Festmahl zu Hause zu kreieren und die eigenen Kochkünste weiterzuentwickeln. Auch aus religiöser Sicht ist Verschwendung eines der Verbote des Islam. Insofern hat man jetzt die Möglichkeit, über einige extravagante Gewohnheiten nachzudenken und sich mit bedürftigen Mitmenschen auch finanziell noch solidarischer zu zeigen.

Dieser Ramadan wird ohne Zweifel eine Gelegenheit für Selbstreflexion und Wertschätzung sein. Noch nie mussten wir auf soziale Kontakte, auf das Treffen mit geliebten Menschen und neuen Bekanntschaften, in dieser Form und mit dieser Intensität verzichten. Es bleibt zu hoffen, dass Muslime weltweit den nächsten Ramadan mit der beruhigenden Gewissheit feiern werden, die Schwierigkeiten während der Pandemie überwunden zu haben.

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