Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat angekündigt, die Obergrenze für Minijobs von derzeit 450 Euro im Monat auf 520 Euro ab 1. Oktober 2022 zu erhöhen. Gleichzeitig soll der Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde steigen.
7,4 Millionen Menschen arbeiten als Minijobber
Zum 30. Juni 2021 waren von den 41,2 Millionen Beschäftigten in Deutschland 7,4 Millionen Menschen in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis tätig. Dies entspricht fast 18 Prozent aller Beschäftigten. Von den 7,4 Millionen Minijobbern gehen etwa 4 Millionen ausschließlich dieser Tätigkeit nach und 3,4 Millionen als Nebenerwerb. Unter den 4 Millionen, die auf diesen Minijob angewiesen sind, gibt es unter anderem Studenten, alleinerziehende Mütter und über eine Million Rentner. Die Unternehmen hatten die Einkommensgrenze von 450 Euro moniert, weil durch die Erhöhung des Mindestlohns die Minijobber weniger Stunden arbeiten könnten, was zum Nachteil der Arbeitgeber wäre.
Mit der Umsetzung der Erhöhung der Verdienst-Obergrenze für Minijobs kommt die Bundesregierung damit einer Forderung von Unternehmen nach. Die Gewerkschaften kritisieren seit Jahren die 450-Euro-Jobs, weil dadurch viele Vollzeitstellen weggefallen sind. Durch die Erhöhung der Einkommensgrenze für Geringverdiener erwarten Experten einen weiteren Anstieg von Minijobs.
Zur Bekämpfung der Schwarzarbeit eingeführt, wurde es zum lohnenden Beschäftigungsmodell für Unternehmen
Ursprünglich wurde die Regelung für Minijobs im Zuge der Hartz-IV-Reformen unter der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossen, wobei das eigentliche Ziel darin bestand, Dienstleistungen im Privathaushalt aus der Schwarzarbeit herauszuführen. Was zur Bekämpfung der Schwarzarbeit angedacht war, entwickelte sich für Unternehmen zum lohnenden Geschäft, ob im Einzelhandel, Hotel- und Gaststättengewerbe oder Gesundheitswesen. Stichwort Flexibilität: Ein Supermarkt zum Beispiel stellt lieber drei Studenten als Minijobber ein und spart dadurch einen Vollzeitbeschäftigten an der Kasse. Oder in einem Restaurant arbeiten zwei 450-Euro-Jobber und ersetzen eine Kellnerin, die dort vorher in Vollzeit beschäftigt war. Die Liste ließe sich ohne Mühe fortführen.
Bertelsmann Stiftung: Ungerechtes Steuer- und Sozialversicherungssystem benachteiligt Zweitverdienende in Paarhaushalten
Die Attraktivität von Minijobs für Arbeitgeber ist nicht von der Hand zu weisen, allerdings hat dies dazu geführt, dass mittlerweile jeder fünfte Arbeitsplatz in Deutschland von geringfügig entlohnten Beschäftigten erledigt wird. Seit Beginn der Regelung für Minijobs 2003 ist der Anteil dieser Tätigkeiten bis 2019 um 43 Prozent gestiegen. Nach Angaben der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di werden zwei Drittel der Minijobs von Frauen erledigt. Eine Studie der Bertelsmann Stiftung kritisiert das Steuer- und Sozialversicherungssystem in Deutschland, weil Zweitverdienende in Paarhaushalten in einer Teilzeit- oder Vollzeitbeschäftigung mit hohen Steuern und Abgaben belastet würden. So bleibt den betroffenen Frauen, die bereits in einem Minijob tätig sind, nichts Weiteres übrig, als dieser Arbeit nachzugehen, weil sich eine Beschäftigung in Voll- oder Teilzeit aus steuerlichen Gründen nicht lohnt.
Verlierer der Pandemie: Minijobber
Wehe aber, wenn es wie in der Pandemie zu einer Wirtschaftskrise kommt. Dann sind die geringfügig entlohnten Beschäftigungsverhältnisse die ersten, von denen man sich trennt. Nach einer Studie der DIW in Berlin haben in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 „12 Prozent oder 850.000 Menschen“ ihren Job als Minijobber verloren. Denn Minijobber haben im Gegensatz zu Vollzeitbeschäftigten keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Es kommt noch hinzu, dass sie im Gegensatz zu sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten keine soziale Absicherung besitzen und kein Arbeitslosengeld erhalten, weil keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung entrichtet wurden.
450-Euro-Jobs führen zu Altersarmut und Ungerechtigkeit
Wegen der äußerst geringen Abgabe der Arbeitgeber zur Rentenversicherung bei 450-Euro-Jobs werden diese Frauen und auch Männer, die diese Arbeit als Hauptbeschäftigung ausüben, im Renteneintrittsalter ein ernsthaftes Problem bekommen, weil ihnen im Alter Armut droht und sie damit auf Sozialleistungen angewiesen sind. Dies führt zwangsläufig zu sozialer Ungerechtigkeit in der Gesellschaft. Mit der Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobber auf 520 Euro dürften diese etwas mehr verdienen. Aber das eigentliche Problem, keine Sozialversicherungsbeiträge in die Rentenkasse einzuzahlen, schafft neue Armut in der Zukunft. Nicht nur die Gewerkschaften, sondern auch der Sozialverband Deutschland (SoVD) fordern aus diesem Grund, die Minijobs in sozialversicherungspflichtige Jobs umzuwandeln, denn gerade die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass geringfügig Beschäftigte keinerlei Absicherung hätten, und sie appellierten an die Politik, zu handeln.
Mindestlohn reicht nicht zum Leben
Beim Mindestlohn gilt seit 1. Januar 2022 ein Stundenlohn von 9,82 Euro, der sich im zweiten Halbjahr auf 10,45 Euro erhöhen wird. Wie bereits dargelegt, soll er laut Koalitionsvertrag auf 12 Euro angehoben werden. Neben dem gesetzlichen Mindestlohn gibt es in Deutschland branchenspezifische Mindestlöhne wie im Baugewerbe oder Elektrohandwerk. Wenn der Mindestlohn auf 12 Euro angehoben werden sollte, werden die meisten Betroffenen von diesem Einkommen nicht leben können, denn allein 37 Prozent (923 Euro) der Konsumausgaben entfallen auf das Wohnen, wie das Statistische Bundesamt errechnet hat.
Eine Anhebung der Zuverdienstgrenze für geringfügige Tätigkeiten würde den Minijobbern etwas mehr Geld in die Tasche bringen, aber wahrscheinlich zu einer Ausweitung dieser Tätigkeiten führen. Eine weitere Zunahme derartiger Jobs könnte zwar die Sozialabgaben von Unternehmen reduzieren, allerdings mit der Folge, dass Minijobber kaum etwas in die Rentenkassen einzahlen und damit die Altersarmut sowie die soziale Ungerechtigkeit erhöhen. Selbst wenn eine Renteneinzahlungspflicht für geringfügige Tätigkeiten eingeführt würde, erhielten die zukünftigen Rentner ein paar Euro mehr Bezüge im Monat. Trotzdem wäre eine Einzahlungspflicht sinnvoller, als keine Beiträge abzuführen. Eine Lösung könnte darin bestehen, die 450-Euro-Jobs abzuschaffen, jedoch gleichzeitig das Steuer- und Abgabensystem so zu reformieren, dass sich sozialversicherungspflichtige Beschäftigung wieder lohnt.