Keine Schicksalswahl in Deutschland / Photo: DPA (dpa)
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Was steht zur Wahl?

Am 23. Februar haben die Deutschen die Wahl zwischen den etablierten Parteien CDU, SPD, Grüne und Liberale in der Mitte des politischen Spektrums und populistischen Protestparteien mit Unternehmern der Spaltung und Disruption, AfD und BSW an den rechten und linken Rändern. Letztere wollen ein anderes politisches, soziales, wirtschaftliches und kulturelles Deutschland, während die Mitte-Parteien zwar die Notwendigkeit von Reformen erkennen, aber insgesamt für Kontinuität stehen.

Das entspricht den Wünschen einer Mehrheit im Land, die sich bei der vorherigen Wahl für eine Transformation entschieden hatte bzw. eine Koalition von Parteien ermöglichte, die Deutschland weitreichend reformieren wollte. Dann erschienen aber in der öffentlichen Meinung die Veränderungen zu weitreichend, zu teuer, zu schlecht gemacht oder unzureichend kommuniziert, so dass sich die Stimmung gedreht hat.

Davon profitieren Politiker, die Antworten auf die Herausforderungen in der Vergangenheit suchen und Sehnsüchte bedienen, wonach Dinge früher besser gewesen seien. Neben diesen emotionalen Gründen für einen Regierungswechsel gibt es ein weiteres Bauchgefühl: viele Menschen trauen der CDU zu, dass sie es besser kann, weil sie als eine Art Regierungspartei wahrgenommen wird, die in der Geschichte der Bundesrepublik die mit Abstand längste Zeit Koalitionen geführt hat. Bei der CSU ist das noch ausgeprägter.

Diesmal scheint für die CDU ein Ergebnis zwischen 30 und 40 Prozent der Wählerstimmen möglich. Alle drei Ampelparteien werden abgestraft. Die FDP hat trotz der zweithöchsten Parteispenden gute Chancen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern. Wie viel SPD und Grüne verlieren oder ob das Geschick des Wahlkämpfers Scholz und des Kommunikators Habeck Überraschungsgewinne einfährt, wird die Ausgangslage für künftige Verhandlungen mit der stärksten Fraktion CDU über eine Regierungsbildung bestimmen. Da keine der Parteien der Mitte mit der AfD koalieren wird und die CDU die stärkste Fraktion stellt, wird es einen Bundeskanzler Friedrich Merz geben, der mit einem oder zwei Juniorpartnern regiert.

Trotz gemeinsamer Positionen in grundsätzlichen Fragen, betonen alle Parteien besonders ihre Unterschiede, sowohl aus ideologischen Gründen als auch aus wahltaktischen Motiven. Im Wettbewerb um Unterscheidbarkeit gibt es eine ganze Reihe von Konfliktlinien. Was dann im Koalitionsvertrag steht, wird von der Verhandlungsmacht der einzelnen Parteien abhängen, die nicht nur von den Mehrheitsverhältnissen im neuen Bundestag bestimmt wird, sondern auch von der Zahl der möglichen Koalitionsvarianten: kann der künftige Kanzler wählen und die möglichen Partner gegeneinander ausspielen oder ist er erpressbar und der Juniorpartner treibt den Preis für die Mitregierung in die Höhe? Die Persönlichkeit der handelnden Akteure und ob sie miteinander „können“ spielt ebenfalls eine Rolle, wird aber medial überbewertet – betrachtet man die faktisch eng begrenzten Spielräume, die rechtlich, budgetär und eigene „rote Linien“ gesetzt sind.

Kein Ruck, keine Extreme

Inhaltlich geht es innenpolitisch besonders um die Themen Haushalt und Schuldenbremse, Migration, Wettbewerbsfähigkeit, Verteidigung, aber auch um Klima- und Energiepolitik.

Der Investitionsstau, den schon die Ampel-Koalition zum Thema gemacht hat, nachdem in den Jahren der Regierungszeit von Angela Merkel kaum investiert wurde, ist nach wie vor gewaltig. Der Ankündigung einer Zeitenwende in der Verteidigungspolitik ist außer einer Einmalfinanzierung von 100 Mrd. Euro wenig gefolgt. Einstellungen in der Bevölkerung haben sich bisher kaum verändert und die finanzielle Ausstattung für eine strukturell andere Verteidigungspolitik fehlt.

In der Asylpolitik gibt es vollmundige Ankündigungen, die nach rechts zielen. Da aber vielfältige praktische Hindernisse einem großen Wurf im Wege stehen und auch jeder Fall das Recht auf Einzelfallprüfung hat, wird sich an den Zahlen der Menschen wenig ändern, die Schutz genießen, geduldet werden oder bislang nicht abgeschoben werden konnten.

Gleichzeitig wollen alle etablierten Parteien dem Fachkräftemangel durch Zuzug begegnen, was angesichts einer beunruhigenden demografischen Entwicklung verständlich ist – von populistischen Parteien aber politisch ausgeschlachtet wird. Außerdem erscheint ein Land für ausländische Spitzenkräfte weniger attraktiv, wenn von dort ausländerfeindliche Parolen zu vernehmen sind.

Außenpolitisch unterscheiden sich die Positionen der Mitte-Parteien nur marginal. Alle bekennen sich zur EU, der NATO und einer multilateralen, liberalen Weltordnung. Sie lehnen autoritäre Systeme ab und versuchen westliche Werte wie Freiheitsrechte, Pluralismus, inklusive Institutionen oder Gewaltenteilung selbstbewusst gegen die Feinde einer offenen Gesellschaft zu verteidigen.

Verändert gegenüber der letzten Wahl 2021 haben sich jedoch die äußeren Rahmenbedingungen: damals waren die Abhängigkeiten von Russland (Energie), USA (Sicherheit) und China (Wirtschaft) kein Thema. Mit dem Krieg in der Ukraine, Trump im Weißen Haus und einer Absatzschwäche deutscher Hersteller auf dem chinesischen Markt bei gleichzeitigen chinesischen Überkapazitäten, die nach Europa drängen, steht die Politik vor großen Herausforderungen, die es schwieriger machen, aus der Rezession zu kommen. Eine De-Risking-Strategie gegenüber Russland, USA und China erscheint jetzt gleichzeitig notwendig. Hinzu kommt, dass die deutsche Wirtschaft aus strukturellen Gründen lahmt und sich nicht nur in einer konjunkturellen Schwächephase befindet, weil auch der längste Aufschwung in der deutschen Wirtschaftsgeschichte ab 2018 einmal zu Ende gehen musste.

Befragt, wie darauf zu reagieren ist, antworten alle Kandidaten der Mitte, dass Europa selbstbewusst agieren und gemeinsam handeln müsse. Mut macht dabei, dass die EU gegenüber Russland tatsächlich viel geeinter auftrat als das vor dem Überfall auf die Ukraine zu erwarten gewesen war. Allerdings ist nicht diese Einheit, sondern Vielfalt der Normalzustand, weil die EU kein Staat ist und sich nationale Positionen aus kulturellen Gründen, aber vor allem aus faktisch verschiedenen Betroffenheiten und Problemlagen unterscheiden.

Daher zeigen sich im dritten Kriegsjahr Risse in der Geschlossenheit, es mangelt an Führung und einem gemeinsamen Kurs, um europäische Antworten zu finden, die die Unterstützung aller Mitglieder finden. Es ist zu bezweifeln, dass der nächste Bundeskanzler den Willen und die Fähigkeiten hat, den zentrifugalen Kräfte in der EU erfolgreich zu begegnen. Zum einen, weil ein geeinteres Europa viel Geld und politische Autonomie kosten wird. Zum anderen, weil keiner der Kanzlerkandidaten ein Konzept hat, wie die Partner dazu gebracht werden sollen, sich auf ein Reformmodell für die EU zu verständigen.

(Noch) keine Schicksalswahl

Die Bundestagswahl 2025 ist somit keine Schicksalswahl. Zwar spielen erstmals Parteien eine ernsthafte Rolle, die ein anderes politisches System und ein anderes Deutschland wollen. Ihr Geschäft ist aber vor allem Protest, Disruption und das Schüren von Ängsten – ohne selbst Lösungen anzubieten. Die große Mehrheit der Deutschen wird sich für Parteien aussprechen, die für Kontinuität, andere Prioritätensetzung, aber im Wesentlichen eine Fortsetzung des Bekannten mit überschaubaren Reformen stehen. Die Vorgängerregierung scheiterte nicht nur an persönlichen Differenzen und ungünstigen Rahmenbedingungen, sondern auch, weil sie zu viel zu schnell ändern wollte und dabei handwerkliche Fehler machte.

Angesichts der gewaltigen Aufgaben, vor dem das Land steht, den damit verbundenen Kosten und weit ungünstigeren außen- und sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen als bei der vergangenen Wahl, wirkt es, als wäre die veränderte Sicherheits- und Wirtschaftslage noch nicht wirklich beim Wahlvolk angekommen. Die Debatte wirkt sehr selbstbezogen und von Erwartungen bestimmt, was der Staat zu leisten in der Lage sein sollte. Das deckt sich in kaum einem Politikfeld mit den realen Fähigkeiten und verheißt nichts Gutes für die kommende Regierung. Denn auch sie wird nicht „liefern“, was in der Folge Populisten und politischen Unternehmern der Empörung in die Karten spielt.

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