Islamfeindlicher Terror als neue hybride Terrorideologie / Photo: AA (AA)
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Deutschland wurde vor wenigen Tagen von einem schrecklichen Terroranschlag erschüttert. Bei einem Angriff auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg wurden Hunderte verletzt, fünf Menschen verloren ihr Leben. Unmittelbar nach dem Angriff gab es in der Öffentlichkeit die Erwartung, dass es sich um einen weiteren Anschlag der Terrorgruppe Daesh handeln würde. Doch die Wahrheit war völlig anders und überraschte alle: Der Angreifer war ein Terrorist saudi-arabischer Herkunft, der aus islamfeindlichen Motiven heraus gehandelt hatte. Der Mediziner und AfD-Sympathisant war durch rechtsextreme und rassistische Propaganda radikalisiert worden. Es handelte sich also um einen islamophoben Terroranschlag, der von einem ehemaligen Muslim, beeinflusst von rechtsextremer Rhetorik, verübt wurde.

Trotz der deutlichen Anzeichen der Radikalisierung des Täters, der Warnungen von Bürgern und saudi-arabischen Behörden zu der Person, konnte dieser Anschlag, wie auch andere islamfeindliche Terroranschläge zuvor, nicht verhindert werden. Dies weist auf ein fundamentales Problem im Bereich der Terrorbekämpfung in Europa hin. Das Problem wird von vielen Experten als die „Blindheit auf dem rechten Auge“ der Sicherheitskräfte beschrieben.

Wegen dieses strukturellen Problems konnten islamophobe Terroranschläge, wie die von Anders Breivik und Tarrant, die beide furchtbare Massaker anrichteten, nicht verhindert werden. Offensichtlich sind die politischen Eliten und Sicherheitskräfte in Europa aufgrund der vorherrschenden islamophoben Atmosphäre zögerlich, Maßnahmen gegen die Gefahr des erstarkenden rechtsextremen Terrors zu ergreifen. Stattdessen werden die begrenzten Ressourcen ausschließlich zur Bekämpfung von Terrorgruppen wie Al-Qaida und Daesh eingesetzt, die den Islam für ihre eigenen ideologischen Zwecke missbrauchen.

Anzahl islamophober Terroranschläge steigt

Noch vor wenigen Jahren wurden wir Autoren des „Europäischen Islamophobie Berichts“ von rechten Kreisen in Europa kritisiert und verspottet, weil die 2017 veröffentlichte Studie den Abschnitt „Terroranschläge gegen Muslime“ enthielt. Der Vorwurf der Rechtspopulisten lautete, „islamophober Terror“ sei ein Oxymoron, da Muslime weltweit die einzige Gruppe seien, die für Terroranschläge verantwortlich sei, und niemals Ziel solcher Gewaltakte.

Leider ist diese Sichtweise nicht nur auf diese Kreise beschränkt. Laut einer Studie von Forschern der Georgia State University und der University of Alabama, veröffentlicht im März 2017 in der Fachzeitschrift „Justice Quarterly“, erhalten Angriffe von muslimischen Tätern in den USA durchschnittlich 357 Prozent mehr Aufmerksamkeit in den Medien als andere Angriffe. Daher wird muslimfeindlichem Terror in der Öffentlichkeit bewusst oder unbewusst nicht genügend Beachtung geschenkt.

Die Anzahl islamophober Terroranschläge, die sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime zum Ziel haben, steigt jedoch an. Beispiele hierfür sind der Terroranschlag von Anders Breivik in Oslo (2011 – 77 Tote), der Anschlag auf die Moschee in Quebec City (2017 – sechs Tote, 19 Verletzte), der Anschlag auf die Finsbury Park Moschee (2017 – ein Toter, zehn Verletzte) und der Terroranschlag in Christchurch, Neuseeland (2019 – 51 Tote, 40 Verletzte). Diese islamophoben Terroranschläge haben dazu geführt, dass sich viele internationale Organisationen und Institute verstärkt mit dieser Terrorform befassen.

Rechtsextremer islamfeindlicher Terror eine Bedrohung für alle

Obwohl viele Studien islamfeindliche Angriffe nicht explizit als „islamophoben Terrorismus“ definieren, weisen sie auf die Gefahr des rechtsextremen Terrors für europäische Gesellschaften hin. Der 2018 veröffentlichte „Global Terrorism Index“ des Instituts für Wirtschaft und Frieden betont, dass die Mehrheit der „nicht-dschihadistischen Terroranschläge“ von Personen mit rechtsextremen, weiß-nationalistischen und/oder anti-muslimischen Überzeugungen verübt wurde.

Der 2019 von EUROPOL veröffentlichte Bericht über die Terrorismuslage und -trends in der EU (TE-SAT) beschreibt detailliert die wachsende Gefahr des rechtsextremen Terrors, ohne jedoch den anti-muslimischen ideologischen Rahmen hinter diesem Trend zu erwähnen. Ähnlich hebt der Bericht des UN-Generalsekretärs zu Terrorismus aus dem Jahr 2018 hervor, dass nicht nur dschihadistische Gruppen wie Daesh und Al-Qaida, sondern auch „rechtsextreme Gruppen, die die Überlegenheit der Rasse propagieren, sowie andere religiös oder politisch motivierte Gruppierungen“ eine zerstörerisches Narrativ unterstützen. Laut demselben Bericht stellen diese Gruppen „eine erhebliche Bedrohung für die Integrität und Sicherheit unserer Gesellschaften und Gemeinschaften dar.“

Heute stellt der rechtsextreme islamophobe Terror eine ernsthafte Bedrohung für die ganze Welt dar. Wie der jüngste Anschlag in Magdeburg zeigt, werden islamophobe Terroranschläge nicht nur von weißen Terroristen wie Tarrant und Breivik verübt. Insbesondere ehemalige Muslime und andere ethnische Gruppen, wie wir es beim Hindutva-Rassismus beobachten, fallen unter den Einfluss rechtsextremer radikaler Ideologien, die vor allem im Internet verbreitet werden. Der Terroranschlag im türkischen Eskişehir, bei dem der 18-jährige Arda K. sieben Menschen im Gelände einer Moschee niederstach, weist auf die Entstehung einer neuen hybriden Terrorideologie hin.

Ein Blick in das 16-seitige Manifest von Arda K. zeigt, dass er die von westlichem Schädelrassismus geprägten Parolen auswendig gelernt und wiederholt hatte. Arda K., der sich selbst als „Nationalsozialist“ und „Türkisch-Tengrisch“ beschrieb, verkündete seine Zugehörigkeit zu einer Ideologie, die die arisch-deutsche Rasse als überlegen und die Türken als zweitklassig ansieht, was die Verwirrung zeigt, mit der wir konfrontiert sind. Juden, Migranten, Flüchtlinge, Kurden, Schwarze und die Mehrheit der türkischen Gesellschaft, die Arda K. als faul und parasitär beschrieb – sie alle bezeichnete der Täter als „Insekten“.

Wie man sieht, fußt der Terroranschlag in Deutschland auf einer breiten ideologischen Grundlage und breitet sich über transnationale Netzwerke aus. Die einzige Möglichkeit, solche neuen Anschläge in der Zukunft zu verhindern, besteht darin, das Konzept der Terror- und Radikalisierungsbekämpfung, das sich nur auf Muslime konzentriert, durch ein Konzept mit einer 360-Grad-Perspektive zu ersetzen. Ein solcher Schritt würde den Islamophobie-Verfechtern, die den Islam und Muslime mit Terrorismus gleichsetzen, einen erheblichen Schlag ins Gesicht versetzen. Ob die politischen Eliten in Europa dazu bereit sind, wird die Zeit zeigen. Im Falle einer Verzögerung scheint es leider unvermeidlich, dass weitere islamfeindliche Terroranschläge verübt werden – auch gegen Nicht-Muslime.

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