Daniel Bell stellte in seinem 1973 verfassten Buch „Die nachindustrielle Gesellschaft“ die These auf, diese Phase werde von dem nunmehr in den Mittelpunkt rückenden Oberbegriff „Information“ geprägt sein. Einige Sozialwissenschaftler, die sich auf Bell berufen, argumentieren in ähnlicher Weise dahingehend, dass die Informations- und Kommunikationstechnologien einen Strukturwandel bewirkt haben, der nahezu jeden Aspekt unseres Lebens durchdringt. Der besagte Strukturwandel hat zu wichtigen Umbrüchen in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Militär und Politik geführt, aber auch die konventionellen Strukturen verändert. Internetbasierte Technologien, die sich insbesondere mit Anfang der 2000er Jahre verstärkt durchsetzen konnten, haben selbst die traditionellen Medienkanäle transformiert und diese gleichzeitig in neuen digitalen Umgebungen eingebettet. So haben beispielsweise klassische Medien wie Fernsehen, Zeitungen und Radio mit den Innovationen der digitalen Plattformen Schritt gehalten und sind auch in diesem Bereich präsent. Die Politik einer Integration des digitalen Wandels, die das Überkommene grundlegend verändert, ist für alle Staaten zu einer Art Verpflichtung geworden. Dies führt auch dazu, dass die bisher gültigen Sicherheitsvorstellungen und -konzepte hinsichtlich der neuen digitalen Räume überarbeitet werden müssen und die Erarbeitung neuer Richtlinien, die den Herausforderungen der Zeit entsprechend gestaltet werden, im Augenmerk der Staaten liegt. Zu den wichtigsten Komponenten der besagten neuen Sicherheitskonzepte zählen dabei die drohenden „Informationskriege“ und die Entwicklung von Mitteln zu ihrer Bekämpfung.
Digitale Medien und Informationskriege
In den vergangenen Monaten haben sich die Debatten um digitale Interventionen in der internationalen Politik verschärft. Informationskriege mit dem vorgeblichen Ziel, vor anstehenden Wahlen das Wählerverhalten zu beeinflussen, werden in Europa vor allem Russland und teilweise auch China vorgeworfen. Dazu heißt es, Russland habe insbesondere in den Ländern des europäischen Raums einen Informationskrieg eröffnet und nutze zu diesem Zweck die bestehenden Social-Media-Plattformen intensiv. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Großbritannien erst kürzlich die Sendelizenz des chinesischen Staatsfernsehens mit der Begründung widerrufen hat, es handele sich um ein Propagandainstrument der Kommunistischen Partei. Auch Russia Today, das mit der Inbetriebnahme eines eigenen Fernsehsenders in Deutschland auf Sendung gehen wollte, erhielt mit der Begründung, es handele sich um ein Instrument der russischen Desinformationspolitik, keine Sendelizenz. Beide Beispiele zeigen das Ausmaß der laufenden Informationskriege zwischen Europa und Russland bzw. China und unterstreichen einmal mehr die neue Rolle digitaler Plattformen bei den bilateralen Beziehungen der Staaten.
Neue Front im Informationskrieg: YouTube blockiert russische Kanäle
Zahlreiche Social-Media-Plattformen und hier insbesondere YouTube haben eine Politik der „Vermeidung falscher Informationen zur Covid-19 Pandemie“ verabschiedet und erklärt, man werde genau verfolgen, ob Desinformation in diesem Bereich verbreitet werde. Die erst kürzlich ausgesprochenen Sperren für Robert F. Kennedy Jr., bekannt für seine Anti-Impfstoff-Haltung, und Joseph Mercola werden als Teil dieser Auseinandersetzung betrachtet. Diese Initiative, die nicht nur auf Social-Media-Plattformen beschränkt ist, wird auch von der Europäischen Union unterstützt und von den Monitoring-Einrichtungen innerhalb der Union strikt verfolgt. Betrachtet man die Ergebnisse aus den Monitoring-Berichten der Europäischen Union, wird deutlich, dass sowohl Russland als auch China falsche Informationen über das Coronavirus verbreiten und eine Politik der Desinformation verfolgen. Als Beispiele hierfür seien nur die haltlosen Behauptungen bezüglich des Krankheitsverlaufs der taiwanesischen Präsidentin Tsai Ing-Wen in der ersten Phase der Pandemie genannt oder die ebenso heftig diskutierte, haltlose Behauptung, wonach der slowakische Premierminister Peter Pellegrini andere EU-Staats- und Regierungschefs beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union im Februar 2020 in Brüssel angesteckt hätte. Man geht davon aus, dass diese Anschuldigungen von chinesischen Onlinequellen stammen. Ebenso wird häufig ins Feld geführt, Russland habe während der Pandemie Inhalte, die in Europa für Unruhe sorgen sollten, bewusst über das Internet verbreitet.
So gesehen stellt die Einstellung der beiden deutschsprachigen YouTube-Kanäle von Russia Today eine wichtige Zäsur dar und verdeutlicht, dass die Informationskriege in eine neue Phase eintreten. Diese Entscheidung, die für Spannungen zwischen Russland und Deutschland gesorgt hat, wurde von russischer Seite als Zensur und Verletzung der Pressefreiheit kritisiert. Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass die Direktorin von Russia Today, Margarita Simonyan, behauptete, Deutschland stünde hinter dieser Entscheidung von YouTube und dieses Verbot sei Teil des deutschen Medienkriegs gegen Russland. Die offiziellen Quellen des Kremls, die diese Haltung gegenüber Russia Today als Zensur bezeichnen und sogar mit einem Verbot von YouTube in Russland drohen, verantworten augenscheinlich diese jüngste Eskalation der Informationskriege. Die Entgegnungen der offiziellen deutschen Quellen, wonach YouTube die einzig verantwortliche Institution bei dieser Entscheidung gewesen sei und man keinen Druck auf YouTube ausgeübt habe, fanden auf russischer Seite keine ernstzunehmende Resonanz. Die entschlossene Haltung von YouTube mit dem Verbot von Inhalten und Konten, die spekulative Informationen über Impfstoffe verbreiten und so die öffentliche Meinung manipulieren wollen auf der einen Seite, und Russlands Fokussierung auf die neuen globalen digitalen Nachrichtenplattformen auf der anderen Seite können durchaus als neue Eskalationsstufe in den ohnehin angespannten Beziehungen Russlands zu Europa gesehen werden. All diese Entwicklungen zeigen, dass Konflikte auf Basis von Informations- und Kommunikationstechnologien in Zukunft einen höheren Stellenwert einnehmen werden als die bisherigen klassischen Konfliktfelder zwischen den Staaten.