Weltmacht Frankreich
Australien zieht sich aus einem U-Boot-Geschäft mit Frankreich zurück und kauft stattdessen in den USA und Großbritannien. So etwas kommt vor, nur in diesem Fall hat es ein politisches Beben ausgelöst und dafür gibt es eine Reihe von Gründen.
Der Großauftrag von ursprünglich 34 Mrd. Euro war 2016 in den französischen Medien als Jahrhundertdeal gefeiert worden. Das Volumen von mittlerweile ca. 56 Mrd. Euro ist nicht nur ein großer finanzieller Verlust in einem für Frankreich bedeutenden Wirtschaftssektor, der in den letzten Jahren gegen den Trend ein großes Exportwachstum verzeichnen konnte. Zudem waren die bestellten U-Boote Teil einer viel weitreichenderen Rüstungskooperation, die auch Tankflugzeuge, Helikopter und militärische Landfahrzeuge einschloss. Noch wichtiger als der wirtschaftliche Schaden ist jedoch der strategische. Im französischen Rüstungsexportbericht von 2018 heißt es, als eine Nation, die wegen ihrer Überseegebiete an den Indischen Ozean und den Pazifik grenzt, nimmt Frankreich in dieser Region einen besonderen Platz ein. Es baut ein Netzwerk von strategischen Partnerschaften in der Region auf. Als deren Hauptsäulen werden Indien und Australien genannt, wo eine zunehmende Rivalität mit China zu beobachten ist. Eine dieser Säulen setzt nun stattdessen auf die USA, die in der Folge des Geschäfts ihre Militärpräsenz in Australien ausbauen.
Mit seiner Entscheidung gegen die französischen dieselbetriebenen und für amerikanische U-Boote mit Atomantrieb wählt Australien nicht nur neue militärische Optionen. Es wird zum siebten Land weltweit mit atombetriebenen U-Booten. Und es schließt zugleich ein engeres Sicherheitsbündnis namens AUKUS mit den Nuklearmächten USA und Großbritannien, dessen Inhalt weit über die Verbreitung atomarer Unterwassertechnologie hinausgeht. Frankreich ist kein Teil dieses Bündnisses und sieht seine Interessen in der Region bedroht, auch wenn alle drei Partner zu beschwichtigen versuchen.
Als wäre diese Situation nicht schon schlimm genug für eine Nation mit weltpolitischen Ambitionen und einem Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, auch die Umstände, unter denen Australien den Partner wechselte und neue sicherheitspolitische Fakten schuf, empfindet Frankreich als verletzend. Führende Politiker in Paris sprechen von Lüge, Betrug und zerstörtem Vertrauen. Präsident Macron belässt es nicht bei Worten. Er zieht die Botschafter aus Canberra und Washington ab und stellt erneut die Frage nach Stärke der Allianz und Verlässlichkeit der NATO, nachdem er bereits 2019 mit seinem Wort vom „Hirntod“ das atlantische Bündnis erschüttert hatte.
NATO, EU und Deutschland
Die Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten war bei den europäischen NATO-Verbündeten mit Erleichterung aufgenommen worden. Er besetzte wichtige außen- und sicherheitspolitische Ämter mit überzeugten Multilateralisten und Atlantikern. Das änderte aber nichts an der gestiegenen Bedeutung Asiens für die US-Außenpolitik und auch nichts an der Tatsache, dass es Amerika in internationalen Organisationen und Verträgen stets um amerikanische Interessen ging. Anders als in Deutschland, wo internationale Verträge und Organisationen gern als Selbstzweck gesehen werden, sehen die USA – aber auch Frankreich oder China – Multilateralismus eher als Instrument zur Durchsetzung nationaler Interessen. Das wird auch in Zukunft so sein. Folgen die europäischen Partner nicht der amerikanischen Position, hat Washington wenig Grund, sich partnerschaftlich zu verhalten. Und selbst bei gemeinsamen Interessen wie beim Abzug aus Afghanistan kann es passieren, dass die USA unilateral handeln und nicht oder zu spät kommunizieren, was sie zu tun gedenken.
Mit dem Aufstieg Chinas fühlt sich die US-Regierung nicht erst seit Trump herausgefordert. Die wachsende wirtschaftspolitische Bedeutung Asiens wird begleitet von zahlreichen Konflikten. Darauf reagiert das neue Sicherheitsbündnis AUKUS zwischen Australien, Großbritannien und den USA. Es ist ein Schulterschluss gegenüber China, das den Sicherheitspakt bereits als „extrem unverantwortlich“ bezeichnet hat, aber auch eine Ansage an Brüssel und die europäischen Verbündeten. Einen Tag nach Bekanntgabe von AUKUS stellte die EU ihre Indo-Pazifik-Strategie vor, in der sie eine weniger konfrontative Haltung gegenüber China einnimmt. Für viele Beobachter wirkt dies angesichts fehlender eigener militärischer Mittel der EU wie ein Sandkastenspiel.
Im April 2022 wählt Frankreich einen neuen Präsidenten. Marine Le Pen hält wenig von der EU und will künftig eng mit Boris Johnson zusammenarbeiten. Emmanuel Macron setzt auf eine Stärkung der außen- und sicherheitspolitischen Rolle der EU, nicht zuletzt, weil er der Verlässlichkeit der NATO nicht vertraut. In Brüssel wird über einen sicherheitspolitischen „Kompass“ diskutiert, dessen Ausrichtung im Frühjahr unter französischer EU-Präsidentschaft vorgestellt werden soll. Dafür braucht Macron Unterstützung, die von der bisherigen Bundesregierung nur zögerlich zu vernehmen ist.
Ob sich dies mit einer neuen Regierungskoalition ändern wird, ist zu bezweifeln. Denn außen-, sicherheits- und europapolitische Themen spielen im deutschen Wahlkampf keine Rolle, wo es mehr um Pandemieregeln, den Zeitpunkt des Kohleausstiegs oder die Mütterrente geht. Eine europäische Sicherheitsstrategie, das künftige Verhältnis zu Frankreich und Großbritannien, vor allem aber die Positionierung gegenüber China sind Themen, die in Expertenzirkeln diskutiert werden, aber kaum darüber hinaus. Und die Debatte über die Zukunft der NATO beschränkt sich auf die Frage, ob die Linke sie vielleicht doch lieber nicht abschaffen will, um die Chance nicht zu verlieren, erstmals an einer Bundesregierung beteiligt zu werden.
Gab es in den Neunzigerjahren Menschen, die sich vor einem Führungsanspruch des wiedervereinigten Deutschlands fürchteten, ist heute die Sorge größer, dass das mangelnde deutsche Interesse an einer Führungsrolle nicht nur die EU, sondern auch die NATO schwächt. Aber auch wenn für Führung die Mittel, der Appetit und die innenpolitische Unterstützung zu fehlen scheinen: Als Vermittler gäbe es genug zu tun für eine neue Bundesregierung.